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Der „Aufgewachten“ Abspaltung: Parallelgesellschaft

Querdenker und Corona-Protestierer planen mehrere „autarke Wohnprojekte“ und haben dafür schon Grundstücke gekauft, Genossenschaften gegründet – unter anderem in Hessen. Die Abspaltung ganzer Gruppen und die Schaffung von Parallelgesellschaften – sie nimmt Fahrt auf.

Es ist in Deutschland mehr im Gange als es kleine Spaziergängergruppen, mikrige Autokorsos und Belästigungen auf Stadtfesten vermuten lassen. Manch einer mag denken, dass mit dem politisch herbeifabrizierten Pseudo-Ende der Pandemie auch Gruppen wie Querdenken am Ende sind. Doch dem ist nicht so. Und dafür muss man nur an die Anfänge von Querdenken zurückdenken.

Allzuoft wird heute vergessen, was die systemfeindlichen Anfänge von Ballwegs Bewegung waren. Zu viele Gruppierungen wurden dem Querdenken-Lager zugerechnet, die eigentlich nur Maßnahmengegner waren, jeder Impfgegner war auf einmal auch Querdenker, wurde als „Coronazi“ bezeichnet. „Querdenker“ wurde zum Synonym für das wurstige Wut-Hut-Bürgertum der Ewig-überall-dagegen-Seienden.

Der Kern jedoch – und das haben Behörden noch heute nicht im Blick und schon gar nicht verstanden – ist zutiefst systemfeindlich.

Der Staat an sich, der ist ihnen ein Dorn im Auge – und war es schon vor zwei Jahren. Und so suchten sie nach Wegen und Möglichkeiten dem verhassten Staat zu entkommen, der sie ihrer Meinung nach zu sehr gängelte. Ballwegs Dödel trafen sich mit Peter Fitzek und dem KRD in der Hacienda Mexicana, sie bastelten ihre eigenen Schulen. Einige Anwälte um Reiner Fuellmich sind der Auffassung, es könne ein alternatives Rechtssystem geben, ähnlich dem eigenen Mediensystem, dem sie allein vertrauen, ein Rechtssystem, das auf dem Naturrecht basiert.

Für eine Zeit dachten sie, sie seien so dermaßen viele Millionen, dass sie mit einer eigenen Partei im Handstreich ohne Staatstreich den Staat übernehmen und dann nach ihren Vorstellungen verändern können. Sie versuchten Widerstand2020, Wir2020 und schließlich dieBasis.

Und während sie mit Reichsbürgern liebäugelten und mit systemfeindlichen Extremisten kuschelten, während sie auf Demos, auf Telegram und auf Wahlkampfreden die „Spaltung der Gesellschaft“ beklagten, an der sie natürlich völlig unschuldig waren, während sie auf Demos ihr Impfgegnertum wie eine Billig-Monstranz vor sich hertrugen, spalteten sie sich immer weiter von der Gesellschaft ab.

Königreich Deutschland als Blaupause

Über die jüngsten Auswüchse dieser Selbstabspaltung berichtete vor einigen Tagen das ARD-Magazin Kontraste. Querdenker hatten in Nordrhein-Westfalen für 1,6 Millionen Euro eine 2,1 Hektar große Wohnsiedlung gekauft und eine Genossenschaft gegründet, für die sie jetzt werben. Dort leben jetzt circa 20 Menschen, sie möchten aber gerne mehr werden. Man plant ein eigenes Gesundheitszentrum, eigene Schulen und denkt über eine eigene Währung nach. Angeblich ein Raum für eigene Regeln, in dem die „Impfung keine Rolle spiele“.

Ein weiteres Projekt ist in Hessen in Planung, wo Querdenker und Basis-Mitglieder ähnliches planen. Dort, in Brandoberndorf im Lahn-Dill-Kreis, wollen etwa 100 Gleichgesinnte eine stillgelegte Bundeswehranlage kaufen, ein ehemaliges Sanitätsmateriallager, und ein eigenes Reich gründen, einen Staat im Staat, autark und unabhängig von der restlichen Gesellschaft. Laut Kontraste handelt es sich bei den Teilnehmern der Gründungsveranstaltung um eine Gruppe aus der Corona-Protestszene in Hessen und aus dem Umfeld der Partei „Die Basis“. Das Projekt ist laut Hessenschau in einer frühen Phase und sicher sei es auch noch nicht, denn die Gemeinde hat eigentlich eigene Pläne mit dem Gelände. Aber die Genossenschaft ist bereits gegründet.

Genossenschaften, Vereine, Stiftungen …. das kennt man alles vom Königreich Deutschland des Peter Fitzek und seinen Dorfprojekten. Dem hat der Staat sogar für seinen Verein die Gemeinnützigkeit hinterhergeworfen. Finanziert wird das meist aus den Privatmitteln der „Genossen“. Die jetzigen Akteure sehen, dass Behörden, Staatsanwaltschaften und Gemeinden maximal lustlos agieren, wenn es gegen das KRD von Fitzek geht. Diese Leute sehen: der Fitzek kommt mit allem durch, weil zwar der Verfassungsschutz warnt, aber die Leute in den Behörden zu pomadig, in den Gerichten zu bräsig und in der Politik zu zurückhaltend sind.

Deswegen macht Fitzek seine eigene Krankenkasse, seine eigene Bank, seine eigene Währung – und das wollen diese „Corona-Leugner-Aussteiger-Reichsbürgeranwärter“ jetzt auch. Mehr als ein „Wir haben das im Blick“ antwortete das Innenministerium NRW auf Anfrage von Kontraste nicht.

„“Das ganze Gelände ist eingezäunt, und wenn es in der Welt zu komisch wird, machen wir das Tor zu. Auf unserer Seite ist dann die gute Seite““

– Heiko, Initiator des Projektes in Hessen

What a brave new world, ein Ecotopia nach der Wurmkur?

Ein Waco mit bewaffneten Bewachern?

Das Zitat zeigt das Kernproblem dieser Gruppe von Menschen: sie kehren der Gesellschaft den Rücken, weil es ihnen in mehr als zwei Jahren nicht gelang, das System in ihrem Sinne – und nur das war für sie das Ziel – umzumodeln. Sie sind in ihrem durch Verschwörungsideologien getriebenen Wahn der Meinung, die Gesellschaft sei böse, deswegen spalten sie sich ab. Sie sind nicht länger bereit, Teil dieser Gesellschaft zu sein.

Wohn- oder Dorfprojekte mit eigenen Regeln

Seit ein paar Monaten warnt der Verfassungssschutz vor solchen Bestrebungen. Für den Verfassungsschutz ist die Sache klar: sie stellen sie in die Ecke von Extremisten, stellen sie zu Recht in eine Reihe mit Reichsbürgern und anderen Selbstverwaltern. Solcherlei Bestrebungen seien gefährlich, „weil diese mit der ideologischen Abschottung des involvierten Personenkreises einhergehen und somit individuelle und kollektive Radikalisierungsprozesse befördern könne“. Oder anders ausgedrückt: innerhalb solcher geschlossenen Gruppen könnten Verschwörungsnarrative „sich noch effektiver entfalten als außerhalb und schlimmstenfalls zum aktiven Widerstand und zur Begehung von Straftaten motivieren“.

Doch das Problem ist darüber hinaus ein anderes: Diese Menschen sind dermaßen in einer Welt gefangen, in der um sie herum das abgrundtief Böse agiert, dass sie sich selbst zwangsweise als das Gute wahrnehmen, denn sie haben ja die Wahrheit erkannt, sehen sich als „aufgewacht“. Längst geht es nicht mehr um Impfung oder Corona. Es geht um die Kinder, die angeblich indoktriniert werden, um „wir gegen die“, um Wissenschaft, die sie nicht verstehen, Politik, die nicht erklärt, um Fortschritt, dem sie nicht folgen mögen. Um Dualismen. Gut, Böse, oben unten. Es geht um gesellschaftliche Veränderungen, die sie fordern und solche, die sie nicht wollen, wie LGBTQ+ und „Genderquatsch“, wie sie es nennen.

Diese Menschen, die in solchen Wohnprojekten oder im KRD aktiv werden, sind für die Gesellschaft verloren, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie viel Geld in die Projekte investieren, im Falle KRD bekämen sie das nicht wieder. Sie sind nicht im Guten reintegrierbar, sie wollen nicht daran teilnehmen, Demokratie und Gesellschaft zu formen, wenn es nicht allein nach ihren Vorstellungen abläuft, sie wollen nicht mithelfen, Zukunft für alle zu gestalten, sondern wollen der Mehrheit ihre Vorstellung aufoktroyieren. Kompromisse möchten sie nicht. Ihr Weg oder keiner. Und sie sind nicht die einzigen, die in solchen Maßstäben denken.

Auch evangelikale, freikirchliche, protestantische und katholische Christen sind unzufrieden mit der Richtung, in der sich Land, Leute, Staat und Gesellschaft entwickeln und möchten ihre Vorstellung eines weniger säkulären Staates durchsetzen, eines Staates, der treuer der Bibel folgt (wir kommen auf solche Gruppen in der nächsten Zeit zu sprechen). Völkische Landnahme durch Gruppen wie der Anastasia Bewegung oder durch Rechtsextreme oder Identitäre ist schon länger Thema im Osten der Republik. Esoteriker und Anthroposophen möchten – ganz achtsam und herbeigetanzt – eine andere Gesellschaft durchdrücken.

Viele denken, nur weil Corona-Protest in Kleingruppen rumpödelt, weil Autokorsos aus maximal 8 Autos bestehen oder manchmal auch nur aus einem, weil die „Spaziergänger“ wie eine Kleinfamilie daherkommen, weil es gerade so kaputt daherkommt, dieses „Querdenken“, sei es vorbei? Aufrufe wie die von Ralph Niemeyer zu einer Verfassungsgebenden Versammlung in Berlin kommende Woche könne man wegschmunzeln?

Die letzten zwei Jahre, die Zeit der Pandemie, sie hat einige Menschen mit unterschiedlichem Hintergründen aus unterschiedlichen Gründen unterschiedlich angejuckt. Was wir in Querdenken und Maßnahmengegnern, in Impfgegnern und anderen Gruppierungen in den vergangenen zwei Jahren gesehen haben, war der lautgewordene Teil einer schon länger brodelnden Masse. Wenn die „bürgerliche Revolution“ vorerst scheitert, spaltet man sich halt ab. Und wenn wir nicht im Auge behalten, was da von links und rechts, vor allem und insbesondere aber aus der indoktrinierten Mitte auf uns zukommt, wird es kritisch. Denn solche Unzufriedenheit und Demokratiemüdigkeit ist gefährlich – für Demokratie und Gesellschaft.

Mit dazu tragen Medien bei. Nicht nur die Jebsens und Compacts, sondern ganz handfest auch Medien wie der MDR, die Süddeutsche, Lanz und sämtliche Springermedien – nur als Beispiel. Es sind Journalisten, die für Clicks, Einschaltquoten und Abos vergessen, was echter Journalismus ist (ja, wussten die bei Springer noch nie), und zweifelhafte Studien pushen, grottenschlechte „Gastbeiträge“ veröffentlichen, um „Diskussionen anzustoßen“, die komplett unnötig sind, Medien, die immer wieder bekanntermaßen zweifelhafte Menschen in ihre Talkrunden einladen oder widerwärtige und an dunkle Zeiten erinnernde Karikaturen veröffentlichen, wohl wissend, dass sie damit Ressentiments und Bauchgefühl einer kleinen Dödelgruppe bedienen – und so deren Narrativ wissentlich in die Mitte tragen.

Das lässt sich alles nicht nicht wegscherzen auf Twitter. Die gehen nicht weg, weil man sie verächtlich macht und sie gehen auch nicht weg, wenn man sie ignoriert. Sie spalten sich selbst zunehmend ab.

Und an dem Punkt sind wir jetzt.