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Twitter – der schweigende Kommunikationskonzern

Über Abmahnungen, anonyme Klagen und vollgekackte Vogelkäfige.

Die Leute von Twitter, sie reden nicht mit jedem. Die Herrschaften, die in der Leitung der deutschen Abteilung einer der größeren Kommunikationsplattformen sitzen, wie beispielsweise Christoph Schmid, der seit Anfang 2020 „Head of Communications“ für Deutschland ist, sie suchen sich sehr genau aus, mit wem sie reden. Mit der Presse? Ja. Mit den Usern? Kaum. Sogar Anwälte warten teilweise vergeblich auf Antworten aus Irland, der Europa-Zentrale.

Twitter meint, es reiche aus, das Nötigste zu machen, da sie ja Twitter seien, würde man ihnen das schon glauben müssen. Sie seien immerhin Twitter, ein multinationaler Konzern, der an der Börse notiert ist.

Wir haben hier im Blog schon über die Account-Sperre von den Kollegen bei AnonNewsDE auf Twitter berichtet. Der Twitter-Account wurde um 13. September gegen 19:40 Uhr gesperrt. Die Begründung:

„Unsere Services dürfen nicht genutzt werden, um direkt Inhalte zu verbreiten, die durch Hacking erlangt wurden und private Informationen umfassen, Personen körperlichen Schaden zufügen oder sie in Gefahr bringen können oder Handelsgeheimnisse enthalten.“

Mehr steht da nicht, mehr kam nicht. Natürlich haben die Jungs und Mädels bei AnonNewsDE Einspruch eingelegt, denn bei keinem der Tweets an diesem Tag ist so etwas vorgekommen. Glaubt ihr nicht, nun sie sind alle immer noch bei Mastodon abrufbar, genau so, wie sie am 13. über die Bridge getootet wurden. Einer davon ist dieser:

Dieser Tweet verlinkte auf unseren Startartikel zu den Hildmann-Chroniken hier. Das sind die anderen:

Ansonsten wurden an dem Tag nur noch Antworten auf andere Tweets, News aus der Gaming- und Internetbranche getwittert bis zur Sperre.

Man wusste nicht, welcher Tweet die Sperre ausgelöst hatte, man hat keine Möglichkeit zur Stellungnahme bekommen, keine Möglichkeit, einen Tweet ggf. zu löschen, zunächst keine Antwort auf den Einspruch, gar nichts. Dabei hatte man am Morgen noch den Hinweis erhalten, dass Meldungen zu zwei Tweets eingegangen wären, die jedoch von Twitter nicht beanstandet wurden: der zu dem Video und der zu dem Artikel auf Anonleaks.

„dass er im Rahmen der Twitter-Regeln […] oder deutscher Gesetze nicht der Entfernung unterliegt.“ Was hier so verschwurbelt steht (das ist eine Kommunikationsplattform, die sowas schreibt, my ass): Wir haben geschaut, und die Inhalte verstoßen weder gegen unsere Regeln noch gegen deutsche Gesetze. Und dabei erfolgte die Meldung sogar nach NetzDG.

Aber wieso sollte auch? Wir haben hier nur berichtet, AnonNewsDE auch. Was unterscheidet diesen Blog und AnonNewsDE auf Twitter von anderen, die über Hacks oder über Leaks berichten? Der blaue Haken? Ein Presseausweis?

Weder wir hier bei AnonLeaks noch AnonNewsDE auf Twitter sind „das Anonymous Kollektiv“. Wir hier als Redaktion als auch AnonNewsDE sind kleine Gruppen innerhalb des Kollektivs. Im Grunde ist es so, dass wir Infos aus dem Kollektiv einsammeln oder über Aktionen und Recherchen informiert werden und dann darüber berichten. Vergleichbar mit einer Nachrichtenagentur. Die Handvoll Leute, die für AnonNewsDE twitterten und die Leute, die hier bloggen, sind nicht das gesamte Kollektiv, sie sind keine Anführer, denn sowas gibt es nicht. AnonLeaks und AnonNewsDE sind Nachrichtenkanäle des Kollektivs. Nicht mehr, nicht weniger. Das gilt auch für die Leute, die Mastodon bedienen und die, die Facebook bespielen. Natürlich koordinieren wir uns bei größeren Aktionen. Aber wir berichten eben auch, wenn wir gar nicht beteiligt sind. So wie bei Attila.

Das Anonymous Kollektiv besteht aus hunderten von Aktivisten, die sich in kleineren oder größeren Gruppe zusammenfinden. Und wir berichten dann.

Also was unterscheidet uns von anderen „Berichterstattern“? Nichts.

Am Ende war es das Bauchgefühl oder die persönliche Abneigung von Twittermitarbeitern? Denn wir unterstellen den Volierenputzern nicht, dass sie Hildmann-Fans sind.

AnonNewsDE, die 10 Jahre auf Twitter so manchen Spaß und so manche News verbreitet hatten, wussten also weder, um welchen Tweet es geht, noch hatten sie eine Chance zur Anhörung, wie das BGH, das oberste deutsche Gericht es fordert. Tickets blieben offen und lange unbeantwortet.

Aber mit der Presse sprach man. Natürlich spricht man mit der Presse, man ist ja eine Kommunikationsplattform. Und gegenüber der Presse lehnte man sich aus dem Fenster, sehr weit, gleich am nächsten Tag. Wir haben dazu schon etwas geschrieben.

Nun, bis hierhin war das bereits vielen bekannt. Nun folgt der weitere Teil.

Es fand sich ein Anwalt, der pro bono – also ohne Geld zu verlangen – bereit war, eine Abmahnung zu verfassen. Er verlangte lediglich eine Spende an „Ärzte ohne Grenzen“ über einen gewissen Betrag. Diesen verdoppelten wir, die Abmahnung wurde verfasst und am 22. September nachmittags an Twitter übermittelt, und zwar direkt an die Europa-Zentrale nach Irland, per Fax und E-Mail. Twitter bestätigte, vergab eine Case ID … und einen Tag später erhielt der Anwalt folgende Nachricht:

Thank you for your report. Our team is now in the process of investigating this matter.

We appreciate your patience and cooperation and will follow up as soon as possible. 

Sincerely, Twitter

Wir veröffentlichen die Abmahnung hier in Auszügen, anoymisiert und mit Erlaubnis des Anwalts.

Die in der Abmahnung genannte Frist – 24. September, 16 Uhr – ließ Twitter ungerührt verstreichen. Und „as soon as possible“ scheint eine der vielen Twitter-Floskeln zu sein, die im Grunde nichts aussagen. Es steckt bei Aussagen von Twitter ohnehin immer wenig dahinter. Und in diesem Fall hat unser Anwalt bis heute keine Antwort, keine weitere Reaktion.

Und jetzt haben wir die Nase voll.

Fassen wir kurz zusammen: Twitter hat gesperrt, hat sich der Presse gegenüber aus dem Fenster gelehnt und gelogen, hat bislang keinen Nachweis geliefert, an welcher Stelle AnonNewsDE gegen die Regeln verstoßen hat, antwortet dem Anwalt nicht und lässt es augenscheinlich auf eine Klage ankommen. Wie in einem anderen Artikel berichtet, haben sie lediglich an dem Tag, an dem die Abmahnung bei ihnen eintraf, eine Baustein-Mail mit Null-Erklärung geliefert. Sie hoffen wohl, dass man keine Klage einreichen könne oder würde, weil ein anonymer Klageweg in Deutschland nicht vorgesehen ist. Abmahnung geht, aber schon eine Einstweilige Verfügung würde die Angabe eines Namens erfordern. Darauf spekuliert Twitter wohl.

Nun gut, Anonymous Germany ist nach deutschem Recht ein Zusammenschluss gleichgesinnter Personen mit demselben Ziel, das nicht wirtschaftlicher Natur ist, also nicht gewinnorientert. Eigentlich ein nicht-eingetragener Verein. Da nicht-eingetragene Vereine keine Rechtspersönlichkeit darstellen, sind sie im Vereinsrecht nicht abgebildet. Wohl aber im BGB, nämlich als GbR, Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Dafür braucht es keinen Gesellschaftervertrag, keinen Handelsregistereintrag.

Anonymous Germany GbR. Es bleibt zwar das Problem der DE-Anonymisierung von mindestens zwei Personen, aber man arbeitet daran. Durch die Drohungen von Attila Hildmann besteht Gefahr, so dass auf eine Veröffentlichung oder Nennung von Namen oder ladungsfähiger Anschrift verzichtet werden könnte seitens des Gerichts. Aber einen solchen Fall hat es so noch nicht gegeben. Deswegen müssen auch Haftungsfragen geklärt werden, wie ist das wirklich mit der ladungsfähigen Anschrift und so.

Gibt es Freiwillige? Die der GbR beitreten und – ohne finanzielles Risiko – helfen? Und ungenannt bleiben? Nur vor Gericht namentlich in Erscheinung treten? xD

Ist alles noch nicht ganz spruchreif und es gibt eine Menge Für und Wider, aber wann gibt es das bei Anonymous mal nicht? Nun gut. Wird noch geklärt werden. Und es ist letztlich eine Frage, die Anwälte zu klären und zu diskutieren haben. Tatsache ist, Twitter sollte sich nicht zu sicher fühlen. Die werden es erst merken, wenn es zu spät ist. Sie möchten das gern aussitzen, glauben sie haben den längeren Atem. Alter, was für ein Trugschluss bei einem börsennotierten Unternehmen …

Twitter wird einiges erst merken, wenn es zu spät ist. Denn im Grunde: ja, es ist schade, dass der Account weg ist, es ist schade, dass die Reichweite weg ist, aber auf der anderen Seite macht das auch den Kopf frei. Einer von AnonNewsDE, einer derjenigen, die den Account vor 10 Jahren aufgebaut haben, beschrieb es auf dem schon lange bestehenden Mastodon-Account so:

Wäre Twitter ein Game, man würde es in den Laden zurückbringen, so schlecht ist es. Ruckelnde Grafik, nicht gut ladende Cutscenes, dauernd Werbung, keine einheitliche Spielexperience.

Doch Twitter ist natürlich kein Spiel. Twitter ist eine weltweite Kommunikationsplattform, die sich einst zum Ziel gesetzt hatte, Meinung und Informationen zu demokratisieren. Das ist vorbei. Likes und Retweets, sie spiegeln schon lange nicht mehr Zustimmung wider, längst kacken zu viele Bubbles den Boden der Voliere voll mit Volksverhetzung, Holocaustleugnung, Antisemitismus, Hass-Tweets gegen LGBTQAI+, Fake News über alles Mögliche und Twitter ist nicht willens, etwas dagegen zu unternehmen. Sie wollen es einfach nicht. Die Leute von Twitter, sie sitzen auf der obersten Stange in der Voliere und denken, jeden Tag würde die Sonne scheinen.

Sie geben das sogar zu, dass sie es nicht können. Aber dazu in den nächsten Tagen einfach mehr.

Wieso sollten sie es auch wollen? Empörung ist schneller getriggert als Liebe, Wut schneller als Zuneigung. Wenn vorgestern die Whistleblowerin im Fall Facebook sagte, wenn man die Netzwerke zu sicher mache, gäbe es weniger Klicks, weniger Interaktion, eine kürzere Verweildauer und damit weniger Werbeeinnahmen, gilt das dann nicht in gleicher Weise auch für Zwitscher? Auch für Twitter ist es schlecht, wenn immer „alles Blümchen“ ist. Hatespeech als Unternehmsstrategie? Conspiracy Theory sells? Warum wie angekündigt QAnon-Profile löschen, wenn es doch Leute anzieht, Klicks und Widerspruch generiert? Und damit Werbeeinnahmen?

Money makes the Bird fly ‚round … and shareholders are more equal important than stakeholders?

Nun, wir werden sehen. Erstmal schauen wir, was noch so geht.

Ist der Account erstmal blockiert, lebt es sich ganz ungeniert. Anonymous Germany wird immer irgendwo auf Twitter sein, Ihr werdet wissen wo. Wir werden zukünftig hier Dinge servieren, die Jack Dorsey von Twitter bestimmt nicht gefallen. Das ist keine Drohung, wir werden nicht Twitter hacken oder sowas (wir nicht). Wir werden – und das ist eine Konsequenz aus der Accountsperre – hier einfach inhaltlich den Fokus auf dezentrale Dienste legen und Euch über Alternativen informieren, Anleitungen erstellen oder verlinken, in denen beschrieben wird, wie man am besten von Twitter zu Mastodon umzieht, welche Möglichkeiten es für Bridges gibt. Und um ehrlich zu sein: es wird nicht nur Twitter betreffen.

Matrix, Mastodon statt Twitter, Alternativen zu Google, PeerTube statt YouTube, PixelFed statt Instagram, Mattermost statt Slack, Nextcloud statt Dropbox, Pleroma, Friendica und wie sie alle heißen – sie stehen in den Startlöchern. Sie funktionieren. Man muss sie nur kennenlernen. Und dazu werden wir beitragen.

Und vielleicht wird es Zeit, dass wir unsere Kenntnisse, unsere Fähigkeiten bündeln für ein besseres, ein dezentrales Web ohne Shareholder-Value. Das ist ein langer Prozess, es wird Zeit brauchen, und wir als deutscher Teil des Anonymous Kollektivs haben davor lange die Augen verschlossen. Aber es wird Zeit. Denn große Unternehmen mit zentralisierten Diensten dürfen nicht die Hoheit über unsere Freiheit, unsere Meinung und unsere Informationen im Rahmen willkürlich ausgelegter „Richtlinien“ erhalten. Jack Dorsey und seine Gurkentruppe, die nicht mal in Deutschland sitzen (hier gibt es nur eine Rumpfmannschaft für Werbekunden), bestimmen nicht, was wir berichten und was nicht.

Dabei geht es eigentlich gar nicht mehr um uns oder unseren Account auf Twitter. Es geht ums Prinzip. Es geht um die vielen, vielen Accounts, die in Twitterthreads ausführlich recherchierte Informationen zu Identitärer Bewegung, zu (neu-)rechten Gruppierungen, zu Querdenken, zur „Freien Linken“, zu Politikern, Prominenten, Anthroposophen etc. publizieren … Twitters intransparente Auslegung der eigenen Regeln ist dann gegebenenfalls der Grund für eine Sperre und das Verschwinden wichtiger Informationen? Wichtiger noch, als die, die wir auf Twitter in Tweets lieferten? Einmal falsch verlinkt, weggemeldet und für immer verloren?

Wir sollten anfangen umzudenken. Backups zu schaffen, mehr Möglichkeiten zu nutzen. Wir beginnen umzudenken, und das wird nicht nur in Deutschland passieren.

Das wird auch ein bisschen schmerzhaft für manche, aber so sind Geburten. Anstrengend, schmerzhaft, aber am Ende winkt die Freude. Attila Hildmann ist ja der Meinung, die Twitter-Sperre sei für uns erst der Anfang. Jo, recht hat er, auch wenn er es anders meinte, es ist ein Neuanfang. Mehr Arbeit, man muss sich neu sortieren. Aber das ist kein Problem.

Also, auf ans Werk, damit wir irgendwann alle sagen können:

Hit the road, Jack!

Und Sergei und Larry und Marc und wie sie alle heißen.

Twitter hat Anonymous geweckt. Sie werden merken, dass das nicht das ist, was sie wollten.

Fuck, Ohrwurm.