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Warum man Putin derzeit nur aggressiv begegnen kann und warum Schwarzerknecht und Co. daneben liegen

Die Wagenknecht/Schwarzer-„Friedensdemonstranten“ lassen bei der gesamten Diskussion um Waffenlieferungen und Kriegseintrittsbedenken eines weitgehend außer Acht: Das Völkerrecht im Lichte des russischen Imperialismus.

In der Diskussion um Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine geht es den einzelnen Akteuren, die sich gegen militärische Unterstützung der Ukraine und für ausschließlich diplomatische Lösungen ausprechen, allein um Selbstprofilierung, um das eigene Wohlbefinden, um den Erhalt von Arbeitsplätzen oder einen widerwärtigen Nationalismus. So scheint es. Und ja, Wagenknecht/Schwarzer, Vad, Precht, Friedrich – das ist der von der Berliner Zeitung – und die vielen unbekannten Namen, die das Manifest unterzeichneten, kann man als durchgeknallt und widerlich bezeichnen, wenn man möchte. Aber letztlich ist Diskurs in unserem Land richtig, wichtig und mehr als notwendig. Und sofortiger Frieden wäre toll.

Doch was gern vergessen wird in diesen Diskussionen mit denen und von denen, die das Manifest oder den ersten Offenen Brief von Alice Schwarzer unterzeichneten, läßt sich ganz simpel auf einen einzigen Satz herunterbrechen: Die Staatengemeinschaft ist verpflichtet, der Ukraine beizustehen, denn Russland hat das im Völkerrecht, der UN-Charta, verankerte Gewaltverbot missachtet. Man kann darüber schmunzeln, aber laut Völkerrecht dürfen die Grenzen souveräner Staaten nicht mit Gewalt verschoben werden.

Putin tat dies 2014 mit der Annektion der Krim – die Staatengemeinschaft machte nichts.

Putin tat dies durch die Unterstützung der Separatisten im Donbass – die Staatengemeinschaft machte nichts.

Nun, seit Februar vergangenen Jahres, die Invasion der Ukraine, Scheinreferenden in mit Ach und Krach besetzten Gebieten und ein Dekret von Putin, das diese Gebiete als russisch anerkennt. Verschiebung von Grenzen souveräner Staaten mit Gewalt durch Russland. Ein sich möglicherweise lange hinziehender Abnutzungskrieg, sterbende Menschen.

Völkerrechtswidrig. Verstoß gegen das Gewaltverbot.

Der Staatengemeinschaft, bestehend aus jenen Staaten, die das Völkerrecht achten und zurecht hochhalten, bleibt gar nichts anderes übrig, als nun auch im Rahmen des Völkerrechts aktiv zu werden – und Putin mit Aggression zu begegnen, Russland zu sanktionieren, es auszuschließen, zu isolieren, der Ukraine Waffen zu liefern. Zu viele Quatschköpfe denken allein im Rahmen der Konfrontation der NATO mit Russland. Klar, so wie Putin drauf ist, ist ein Hineinziehen der NATO in den Krieg eine reale Gefahr.

Aber was passiert auf der anderen Seite, wenn wir die Ukraine zu einem Diktatfrieden zwingen, so wie Sahra Wagenknecht (AfDL) und Alice Schwarzer (DURCH) es sich wünschen? Oder Vad oder Varwick?

Was passiert bei einem Diktatfrieden, der dadurch entsteht, dass ein Waffenstillstand ausgehandelt wird und – wie Vad es beschreibt – die jetzt besetzten Gebiete unter UN-Mandat gestellt werden; bei einem Diktatfrieden, der – so wollen es Wagenknecht und Schwarzer – dadurch entsteht, dass unter UN-Aufsicht, wohl sogar mit Blauhelmtruppen, in den Gebieten erneut Referenden durchgeführt werden? Mal abgesehen davon, dass Putin sich damit nicht zufrieden geben wird – sein Ziel ist es, Russen, Kleinrussen (Ukraine) und Weißrussen (Belarus) wieder unter russischer Führung zu vereinen: Was passiert dann?

Das im Völkerrecht verankerte Gewaltverbot wird hinfällig. Es wird nutzlos. So sehr man sich Frieden auf der Welt wünscht: Wenn man die Ukraine jetzt zwingt, sich hinzulegen und die Beine für Russland breitzumachen – drastische Wortwahl, aber für die Ukrainer wäre das nichts anderes -, dann ist das Völkerrecht und das Gewaltverbot für den Hintern. Dann gibt es keine Handhabe mehr. Dann können die Serben Bosnien überfallen, Mali kann Burkina Faso überfallen, Nicaragua und El Salvador können Honduras überfallen und nicht nur den Golf von Fonseca unter sich aufteilen, sondern mehr. Weltweit können Grenzstreitigkeiten in Kriegen ausgetragen werden. Denn das Völkerrecht ist dann nutzlos. Wenn wir als Staatengemeinschaft Putin mit diesem Coup erneut davonkommen lassen, werden wir nicht weniger Krieg auf der Welt haben, sondern mehr.

Claus Kreß, Völkerrechtler, meint, es sei ganz entscheidend, „dass wir nicht in eine Situation kommen, in der Russland einen Diktatfrieden auf Kosten der Ukraine durchsetzen kann, in der es zu Gebietsgewinnen Russlands kommt, in der der Aggressor belohnt wird.“
Ansonsten drohe das Gewaltverbot zu „erodieren“. Die internationale Ordnung könne zurückfallen in Einflusszonen, in denen schwächere Staaten nicht mehr verlässlich durch das Gewaltverbot geschützt sind.

Nun wird der eine oder andere Sagen: Das Gewaltverbot ist längst in Teilen erodiert. Ja richtig, aber ist das ein Grund, die Hände in den Schoß zu legen? Die Gültigkeit des Gewaltverbots als völkerrechtliche Norm richtet sich nicht in erster Linie danach, ob es zu jeder Zeit befolgt wird. Wichtiger ist seine Akzeptanz als verbindlicher Maßstab für die Beurteilung militärischer Gewaltanwendung. Jemanden, der auf dem Schulhof andere bullied, weisen wir in die Schranken. Nichts anderes muss mit Staaten passieren, die das Gewaltverbot missachten. Wenn wir Putin nichts entgegensetzen, wird der Maßstab unverbindlich, schwach, verwässert. Denn dieser Verstoß gegen das Gewaltverbot ist der Eklatanteste in der jüngsten Vergangenheit.

Die UN-Charta Artikel 51, erlaubt es uns, der Ukraine Waffen zu liefern, ohne dass wir Kriegspartei werden. Sie würde uns sogar noch mehr erlauben: Das kollektive Selbstverteidigungsrecht gewährt jedem Staat auf das Ersuchen des angegriffenen Staates (Ukraine) hin das Recht zur Anwendung von Waffengewalt, und das übrigens auch auf dem Territorium des Aggressors (Russland) im Rahmen der Verhältnismäßigkeit. Wir sind mit Waffenlieferungen nicht am Ende der Fahnenstange des völkerrechtlich Möglichen.

Das (kollektive) Selbstverteidigungsrecht gilt für die Ukraine, bis die Aggression durch den Angreifer beendet ist, auch wenn der UN-Sicherheitsrat Maßnahmen beschließt. Das wird aber hier nicht geschehen, denn Russland hat im UN-Sicherheitsrat Veto-Recht.

Vorbei der Traum der Blauhelme …

Und weil einige es behaupten werden – im Sinne von NATO und Ukraine und umzingelt und Bla – und weil Putin sich ebenfalls auf Völkerrecht beruft: Nach Meinung der überwiegenden Mehrzahl der Völkerrechtler ist präemptive Verteidigung nicht durch die UN-Charta gedeckt, Russlands Aggression ist also dennoch ein Verstoß gegen das Gewaltverbot. Außerdem ist das Putineske Spinnerei. Nichts rechtfertigt es, einen anderen Staat anzugreifen und zu versuchen, seine Identität auszulöschen.

Das Völkerrecht gebietet es uns, der Ukraine beizustehen. Denn ansonsten bleibt von dieser Welt nichts übrig, als ein Brandherd nach dem anderen. Feuer, die niemand löschen kann. Nur weil wir Putin erneut davonkommen lassen.

Frieden schaffen ohne Waffen? Das ist ein hehres Ziel. „Wandel durch Handel“? Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr. Appeasement? Hat uns hier hin gebracht und Putin glauben lassen, er könne sich alles erlauben. Niemand möchte Krieg. In Deutschland wird es wahrscheinlich niemanden geben, der Krieg so richtig scheißegeil findet. Auch in der Ukraine hat sicher niemand seinen Spaß, auch die Russen nicht. Aber Krieg, der wird einem auch manchmal aufgezwungen. Er wird den Nachbarn aufgezwungen. Er wird Freunden aufgezwungen. Sollen wir immer wegschauen, wenn Freunde, Nachbarn, Alliierte angegriffen werden? Was sind wir dann für Menschen? Was ist uns das Zusammenleben wert?

Ja, es müssen neben militärischen auch diplomatische Wege zur Beendigung des Krieges gesucht werden. Die Entscheidung über Verhandlungen obliegt jedoch Russland und der Ukraine. Und bisher sagte Putin „Njet“ und die Ukraine will naturgemäß keine Gebiete abtreten. Derzeit gibt es keine gemeinsame Linie, auf der Verhandlungen überhaupt stattfinden könnten. Und noch immer ist Russland der Aggressor. Das wissen auch Wagenknecht und Schwarzer. Sie wissen, dass ihre Argumente schwach sind, deswegen gaslighten sie in ihrem Manifest mit selektiv gekürzten Zitaten (Cherrypicking), deswegen relativieren sie mit Whataboutism (Kriegsverbrechen on both sides), deswegen versuchen sie, uns mit Slippery-Slope-Argumenten zu manipulieren (Atombombe). Wagenknecht und Schwarzer sind nicht anders, als die Schwachköpfe Jebsen, Lenz, Elsässer, Dehm, die ihnen jetzt zujubeln. Sie sind Schwurbler. Sie überzeugen zu wollen, hat keinen Sinn. Aber hört nicht auf, ihre „Argumente“ zu widerlegen.

Putin wird weitermachen, das ist sicher wie das Amen in der Kirche. Er würde sich über einen Diktatfrieden freuen. Wenn er mit Donezk und Luhansk durchkommt, wird er sich Moldau und Transnistrien vornehmen. Und dann wird er erneut versuchen, alles Ukrainische auszulöschen. Er wird keine Ruhe geben.

Der russische Politikwissenschaftler und Soziologe Grigory „Greg“ Yudin beschreibt Russlands Strategie folgendermaßen:

Wir nehmen einen Bissen, dann wird dieser Bissen als legitim anerkannt, in der nächsten Phase ist es möglich, auf der Grundlage dieser Anerkennung der Legitimität irgendetwas anderes zu nehmen.

Quelle (russisch), Übersetzung Dimitri Nabokoff auf Twitter.

Mit dieser Strategie

beginnen wir, indem wir, grob gesagt, die Ostukraine abbeißen – mit einer Art Waffenstillstand. So können wir Gewinne einfahren und uns wieder aufmunitionieren: Die globale Geschäftswelt bekommt einen guten Grund, nach Russland zurückzukehren (von wo sie größtenteils nicht weggegangen ist), während im Gegensatz dazu niemand unter solchen Bedingungen in die Ukraine gehen wird. Dies schafft die Voraussetzungen für weitere Fortschritte [Russlands] in der Ukrainie.

Wer bei Wagenknecht auf der „Friedensdemo“ wirklich glaubt, dass es um Frieden geht, hat nicht aufgepasst, der schwelgt noch immer in Friedenstaubenzeiten der 70iger des vergangen Jahrhunderts, prangert US-amerikanischen Imperialismus an und sieht über russischen Imperialismus hinweg. Russischem Imperialismus kann man nicht mit der Forderung nach Waffenfreiheit begegnen.

Greg Yudin hat wiederholt gesagt, seiner Meinung nach werde Putin in der Ukraine nicht Halt machen, er beschreibt russischen Imperialismus:

Diese Formulierung hat sich fast überall durchgesetzt: „Russland hört nirgendwo auf“. Das ist die Standarddefinition eines Imperiums, denn ein Imperium kennt keine Grenzen.
Grenzen tauchen in Europa 1648 auf, als das westfälische System entsteht, das dann nach und nach die Zeit der Imperien beendet. Es entsteht die Vorstellung, dass es Grenzen zwischen Ländern gibt: „Hier sind wir und hier seid ihr“. Das Imperium erkennt diese Idee nicht an: „Wir sind dort, wo wir angekommen sind. Und ihr – dort, wo wir noch keine Zeit hatten, hinzukommen. Wenn wir dort ankommen sind, werdet ihr nicht dort sein, sondern wir werden dort sein.“
Diese Logik akzeptiert prinzipiell keine Grenzen, und es ist kein Zufall, dass wir von russischen Offiziellen keine Anerkennung der Legitimität der Grenzen von irgendjemandem hören.

Quelle siehe Oben

Putin hat deutlich gemacht, dass er ganz Osteuropa als Teil der russischen Einflusssphäre verstanden wissen will. Deswegen hat er 2014 von der Ukraine abgebissen und nun wieder, und solange er sich nicht daran verschluckt, wird er erstmal woanders andere Stücke abbeißen, um dann später sich wieder der Ukraine zuzuwenden. Putins Russland ist der Meinung, Artikel 5 zum richtigen Zeitpunkt zu triggern würde die NATO zusammenbrechen lassen. Und NATO-Staat Estland ist Osteuropa, Destabilisierungsversuche sind bekannt geworden.

Wirklicher Frieden wäre das nicht – im größeren Zusammenhang.

Einer Minderheit, die wegen ihrer Lautstärke glaubt, die Mehrheit zu sein, dieser Minderheit ist es egal, dass Putin weiter machen wird, solange sie nur am knisternden Kaminfeuer ihren Rotwein trinken und am Gasherd billig ihre Kartoffeln kochen können. An ihnen in ihrer Verblendung mit Fokus auf Antiamerikanismus geht russischer Imperialismus entweder völlig vorbei – oder sie begrüßen ihn. Ihnen und Putin ist das Völkerrecht nur wichtig, wenn sie es in ihrem Sinne verdrehen können, andernfalls ist es ihnen egal.

Um so weniger darf es uns egal sein.