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Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus 2022

Antisemitismus ist auf dem Vormarsch, sagt die Amadeu Antonio Stiftung. Das zeige sich nicht nur, aber auch in den stetig steigenden Zahlen antisemitischer Vorfälle.

Schon im vergangenen Jahr spielten Verschwörungserzählungen mit antisemitischen Ressentiments, aber auch die Relativierung von Holocaust und NS-Regime („Ich fühle mich wie Sophie Scholl!“, Jana aus Kassel) kam auf fast jeder Demo gegen Coronamaßnahmen vor.

Auch in diesem Jahr beobachtet die Amadeu Antonio Stiftung erneut eine Zunahme von antisemitischen Verschwörungsmythen.

In diesem Jahr sei zum Teil immer noch die Pandemie der Anlass, doch der Ukraine-Krieg trete hier in den Vordergrund, und zwar sowohl auf Seiten der „Putinisten“ als auch auf der pro-ukrainischen Seite. Zum Teil werde auch beides kombiniert.

Auf der pro-ukrainischen Seite zeige sich Antisemitismus durch Vergleiche von Putin mit Hitler und Gleichsetzungen des Angriffskriegs mit dem Holocaust oder der Situation in Palästina. Und das nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in Medien wie „Spiegel“ oder „Zeit“.

Insbesondere das „Querdenken“-Milieu habe aber mit einer stark pro-russischen Einstellung den Weg für neue Formen des Antisemitismus geebnet.

Im Report heißt es:

Der Antisemitismus im „Querdenken“-Milieu während der Covid-19-Pandemie ist weiterhin aktuell und tritt in unterschiedlichen Facetten in Erscheinung. Antisemitismus beginnt dort mit der Relativierung des Nationalsozialismus und der Shoah. Ein Beispiel lieferte die prominente [sic!] Ärztin Dr. Carola Javid-Kistel (Niedersachsen) im Rahmen einer Demonstration vom 08. Januar 2022 in Magdeburg (Sachsen-Anhalt). Sie behauptete, die Impfkampagne sei der „größte Genozid aller Zeiten“. Ein weiteres Beispiel ist das Tragen der „Ungeimpft“-Sterne, gelbe Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“, die optisch an jenen Stern angelehnt sind, den Jüdinnen:Juden in NS-Deutschland ab 1941 tragen mussten.

Und weiter:

Im Kontext des Angriffskrieges gegen die Ukraine, werden Motive des „Querdenken“-Milieus mit Motiven des Pro-Putin-Milieus vermischt und angebliche Verbindungen zwischen Covid-19-Pandemie und der Situation in der Ukraine hergestellt. So fand am 03. April 2022 ein Pro-Putin-Autokorso in Berlin statt. Auf dem Auto des Korso-Leiters war ein Schild mit einem „Judenstern“ zu stehen. Die Inschrift des Sterns lautete: „Russe“. Neben dem Schild stand die Frage: „Bald auch wir?“ Im „Querdenken“-Milieu ist die Pro-Putin-Haltung besonders stark. Nicht zuletzt, weil viele Querdenker:innen ihre Informationen aus dem deutschsprachigen Telegram-Kanal des russischen Staatssenders Russia Today beziehen.

Die Covid-19-Pandemie werde generell mit der Situation in der Ukraine verknüpft, um den antisemitischen Verschwörungsmythos vom „Great Reset“ zu nähren. „Great Reset“ steht hier für eine Verschwörungserzählung, nach der es vermeintliche Weltherrschaftspläne einer mächtigen Finanz- und Politikelite gebe, die hinter der Pandemie steckt und diese für ihre unheilvollen Ziele nutzt.

Auch die im letzten Jahr bereits verwendete Verschwörungserzählung einer drohenden „Neuen Weltordnung“ wird in diesem Jahr auf den Ukraine-Krieg ausgeweitet. Wenn Putin davon spricht, einige Staaten seien nicht souverän, sondern Kolonien, dann schlägt das in dieselbe Kerbe, wie die Verschwörungserzählung von der „Neuen Weltordnung“ und die Verwendung antisemitischer Codes wie „globalistische Eliten“ durch AfDler wie Höcke, CDUler wie Maaßen, das Compact Magazin oder Querdenker. Im Falle Höcke:

Er behauptete, „globalistische Eliten“ wollten eine „Neue Weltordnung“, eine „Weltregierung“ schaffen. Der US-amerikanische Jude „George Soros und die anderen Superreichen“ würden „mit ihren Stiftungen“ die Souveränität der Nationalstaaten „unterwandern“.

Antisemitismus sei austauschbar: „Der Anlass ist Antisemiten egal, deshalb nutzen sie Impfkampa­gnen, NATO oder Ukrainekrieg gleichermaßen für ihre Ideologie“, sagte Projektleiter Nikolas Lelle. Ein verbindendes Element sei die Überzeugung einer hinter allen stehenden finsteren Elite.

Doch Antisemitismus finde man auch an völlig anderer Stelle, so der Report: Auch auf pro-palästinensischen, antiisraelischen Demonstrationen, organisiert u.a. von „Samidoun Deutschland“, werde Terrorismus verherrlicht und Judenhass normalisiert, Journalisten als „Scheiß Juden“ oder „Drecksjude“ beschimpft, es kam teilweise zu Ausschreitungen. Zusätzlich wurde Israel als „Kindermörder“ bezeichnet, „was an die jahrhundertealte Verschwörungsideologie anknüpft, nach der Jüdinnen:Juden Kinder für rituelle Zwecke töten würden“. Israelbezogener Antisemitismus sei „in dieser Gewaltförmigkeit jedoch keine Neuheit, hat eine jahrzehntelange Geschichte: Gerade die linke, internationale Palästinasolidarität hat eine gewisse Affinität zum Terrorismus.“

Verschwörungstheorien, nach denen der Krieg Teil eines „Great Resets“ sei, geschichtsrevisionistische Verschwörungserzählungen zum Krieg in der Ukraine, „Querdenker“-Demos oder pro-palästinensischen Demonstrationen: Antisemitismus schafft eine Klammer über unterschiedliche Milieus hinweg. Immer gehe es um ein klares Feindbild, immer wähnten sich Antisemiten auf der richtigen Seite.

Die Studie gibt es bei der Stiftung oder direkt hier als PDF.