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OpTinfoil Querdenken Ralf Ludwig

Weiße Rosen vor Amtsgerichten – oder wenn Querdenker sich instrumentalisieren lassen

Markus Haintz und Ralf Ludwig riefen dazu auf, heute vor Amtsgerichten weiße Rosen abzulegen – aus angeblichem Protest. In Wahrheit ist dies nur die Aufwiegelung unter falscher Prämisse.

Es ist typisch für die Querdenken-Bubble: Irgendjemand ruft zu etwas auf, alle rennen hinterher, Selbstdenken ist abgeschaltet, der gesunde Menschenverstand ist reines Bindegewebe.

In diesem Fall waren es maßgeblich die Rechtsanwältin Beate Bahner und die Anwälte Markus Haintz und Ralf Ludwig – und sicher noch einige andere Protagonisten der Bewegung – , die bekanntgaben, am 01. Mai weiße Rosen vor dem Amtsgericht in Weimar niederlegen zu wollen – aus Protest gegen Durchsuchungen und ein Verfahren wegen Rechtsbeugung gegen den Richter Dettmar vom dortigen Familiengericht.

Oder wie Ralf Ludwig es formuliert:

Am einfach nur peinlich, widerwärtig und verfehlt ist der ständige Vergleich mit der Weißen Rose.

Dieser Richter Dettmar hatte eine einstweilige Anordnung erlassen, durch die er seine Zuständigkeit überschritt und zu der er in der Tragweite nicht befugt war. Ein Familienrichter ist halt kein Verwaltungsrichter und die Überprüfung und ggf. Aufhebung behördlicher Anordnungen ist Sache der Verwaltungsgerichte. Mindestens zwei Verwaltungsgerichtshöfe, der in Bayern und der in Thüringen, erachteten dieses Urteil als „ausbrechenden Rechtsakt“. Es wurde bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Rechtsbeugung gestellt, und dann nahmen die Dinge ihren Lauf: Durchsuchung von Wohnung, Auto und Büro, eingeleitetes Verfahren wegen Rechtsbeugung.

So weit – so normal. Doch Markus Haintz und Konsorten legen Recht stets nach ihrem Gusto aus – und immer nur so, dass sie glauben, Massen bewegen zu können, Menschen zu Handlungen verführen zu können.

Schnell waren sie mit dem Gesetz bei der Hand, wieder gilt für sie nur das Grundgesetz. Artikel 97 Absatz 1 regele die Unabhängigkeit von Richtern. Und das stimmt. Aber wieder ist es so, dass bestehende weitere Gesetze und Urteile des Bundesgerichtshofes ignoriert werden. Die richterliche Unabhängigkeit ist kein Standesprivileg für Richter.

Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

Artikel 97 Abs. 1 GG

Dieser Satz ist Grundlage des Rechtsstaates Deutschland. Er gibt den Richtern die Möglichkeit, frei von staatlicher Willkür und politischem Einfluss zu entscheiden. Er sagt aber auch: der Richter hat sich an das Gesetz zu halten.

Richter Christian Dettmar ist nicht der erste Richter, gegen den wegen Rechtsbeugung im Amt ermittelt wird. Rechtsbeugung liegt bei Richtern regelmäßig dann vor, wenn sie sich bei einem Urteil oder einem Verfahren in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernen. Doch gemäß Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt Rechtsbeugung nicht nur bei Willkürakten oder elementaren Rechtsverstößen vor, sondern kann eben auch bereits dann vorliegen, wenn eine Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen wird. Also beispielsweise dann, wenn der Richter aus sachfremden Erwägungen gegen Zuständigkeits- und Anhörungsvorschriften verstößt, um andere Beteiligte von der Mitwirkung am Verfahren auszuschließen, und er damit die konkrete Gefahr eines seinen Intentionen entsprechenden unrechtmäßigen Vor- oder Nachteils für eine Partei schafft, der bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre. (Vergleiche z.B. BGH 1StR 201/09 vom 24.06.2009 und zahlreiche andere Beispiele von Rechtsbeugung durch Richter und Staatsanwälte)

Christian Dettmar hat kein mündliches Verfahren einberufen, er hat nur handverlesene Sachverständige genutzt, die seinem persönlichen Empfinden – er ist von der Wirksamkeit von Masken nicht überzeugt – entsprachen, er hat sich unberechtigt für zuständig erklärt für Dinge, die Verwaltungsrichtern obliegen, weil er ahnte, dass der Antrag der Klägerin vor dem Verwaltungsgericht nicht durchgegangen wäre. Richter Dettmar hat eine politische Entscheidung gefällt und keine rechtliche. Und genau das ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH Rechtsbeugung im Amt.

Artikel 97 Absatz 1 des Grundgesetzes darf nicht so ausgelegt werden, dass ein Richter über dem Gesetz steht. Es darf kein politischer oder amtlicher Einfluss auf seine Entscheidung genommen werden, das ja, das steht da. Aber seine Entscheidungen können, müssen sogar jederzeit überprüfbar abänderbar sein (es sei denn, er ist Richter am obersten Gericht der Republik). Einfach, um richterliche Willkür zu verhindern. Denn wo kämen wir hin, wenn Richter bei der Urteilsfindung mal einfach entscheiden würden, das im Gesetz vorgesehene Strafmaß eigenmächtig abzuändern und einen Querdenker zu 10 Jahren ohne Bewährung zu verurteilen, weil er im Supermarkt keine Maske trug?

Wenn Querdenker um Haintz – Mitglied von dieBasis – jetzt darauf abheben, dass dieses Verfahren ein Beispiel für Diktatur darstellt, dann ist dies nicht weniger als totaler Unfug. Verfahren wegen Rechtsbeugung und die Überprüfung von Urteilen, das ist explizit im deutschen Recht vorgesehen.

Wenn jetzt aber Mitglieder von Querdenken auf das Narrativ des Markus Haintz und Ralf Ludwig hereinfallen und weiße Rosen aus Protest vor den Amtsgerichten niederlegen, dann treten sie damit das Andenken an eine Widerstandsgruppe mit Füßen, die anders als sie in ihrem wohlstandsverwahrlosten Zustand tatsächlich unter einem Regime gelitten haben, das Andenken an Menschen, die einem Unrechtsregime ausgesetzt waren und von diesem ermordet wurden.

Jeder, der heute Haintz, Ludwig und Bahner folgt und eine weiße Rose vor dem Amtsgericht niederlegt oder niedergelegt hat, sollte sich fragen, ob er sich nicht der Relativierung der Gräueltaten des NS-Regimes schuldig gemacht hat und ob er nicht vielleicht einfach nur widerlich ist.

Und auch wenn diese Leute noch so oft das Grundgesetz in die Höhe halten auf Demos: Verstanden haben sie offenkundig nichts.


Update 02.05.2021, 22:33 Uhr

In einer ersten Fassung des Artikels hieß es, Richter Dettmar habe „ein Urteil gefällt“. Das ist natürlich falsch. Richter Dettmar fällte in dem Fall kein Urteil, es war eine einstweilige Anordnung, wie auch hier korrekt dargestellt. Wir haben den Fehler, der uns durchgerutscht ist, nach Hinweisen in den Kommentaren korrigiert.