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Telegram: Who’s catching your mind? Friends or enticers?

Telegram und der Weg in den Kaninchenbau.

Wir haben gestern Schabernack getrieben. Wir haben so getan, als gäbe es einen Kanal von Julian Reichelt auf Telegram. Wir haben nur wenige Posts gemacht, den Kanal nur sehr kurz laufen lassen, und dennoch hatte er schnell über 50K Abonnenten.

Viele haben nach der Auflösung in den Kommentaren ihrer Entrüstung freien Lauf gelassen. Ist okay, lasst es raus. Es geht nicht darum, wer den Kanal abonniert hat, man muss diese Kanäle nicht abonnieren, um zu schauen, was da los ist. Es geht um die Mechanismen bei Telegram. Und vielleicht denkt der eine oder andere mal nach. Denn auch, wenn ihr jetzt lacht, auch wenn ihr sauer seid, auch wenn ihr entsetzt seid, so wie wir, denn uns hat das entsetzt, dann solltet ihr nachdenken.

Stellt Euch folgende Fragen:

I. Ist der Kanal, dem ich folge tatsächlich von dem, der draufsteht?

Bei Telegram gibt es keine Impressumspflicht. Es gibt einen Verifizierungshaken, wie bei Twitter, aber der wird wenig genutzt. Der Kanal von Markus Haintz kann von Markus Haintz, der von Eva Herman von Eva Herman sein oder auch nicht. Und selbst wenn er von Haintz oder Herman ist, so kann es sein, dass einige Admins diesen Kanal inhaltlich bespielen. Diese Admins können sich „verstecken“, sie posten dann, ohne dass ihr Admin-Status sichtbar ist. Das ist eine Funktion, die Telegram explizit anbiet. Bei einem wirklich geschickt bespielten Kanal würdet ihr nicht zwangsläufig merken, das was nicht stimmt, bis es zu spät ist. Denn:

II. Würde ich mitbekommen, wenn der Ton sich sachte ändert?

Wir haben hier vor längerer Zeit von einem Frank Schreibmüller berichtet. Dieser Frank Schreibmüller, genannt Frank der Reisende, betreibt als Admin zahlreiche Kanäle auf Telegram. Und er ist nur einer von vielen.

Was machen diese Typen wie Schreibmüller eigentlich wirklich? Betreuen sie diese Kanäle technisch? Nein.

Sie bestücken sie mit Inhalten. Sie haben ein ausgeklügeltes System von Bots, die Nachrichten in ihre vielen, vielen, teilweise bis zu tausend Kanäle verteilen. Das machen sie aber nicht mit der Gießkanne gleichmäßig in alle. Und sie machen dies zum Teil als angebliche Weiterleitung aus einem anderen Kanal.

Eine Nachricht, die so ansich nicht wirklich radikal wirkt, die nicht mal besonders spektakulär oder reißerisch daher kommt, wird in einen Teil der Kanäle gepumpt, und zwar in die gemäßigten, in denen ihr seid. „Eltern für Kinder“, Regiotreff Hannover. Was auch immer.

Ihr seht die Nachricht, sie ist interessant, okay. Ihr Klickt auf den Link, lest, alles ist in Ordnung. Beim ersten Mal. Beim zweiten Mal. Beim dritten Mal geht ihr auf den Kanal, aus dem die Nachricht angeblich weitergeleitet wurde. Denn wenn er euch drei Mal interessante Nachrichten geschickt hat, ist der Kanal sicher auch interessant. Hier findet ihr doch die Nachrichten direkter. Seid viel direkter an den News.

In diesen Kanal schickt Frank oder wer auch immer ebenfalls diese Nachrichten direkt, hier nicht als Weiterleitung. Aber er schickt hier auch Nachrichten, die vielleicht emotional aufwühlender sind, die etwas härter in der Tonart sind, nicht radikal, aber doch so, dass du wütend wirst. Auch hier, erste Nachricht, zweite Nachricht, dann folgst du dem Link zum nächsten Kanal.

So macht Frank das über mehrere Stufen. Jede dieser Stufen ist ein bisschen radikaler, ein bisschen mehr Lüge, ein bisschen mehr Verschwörungsideologie. Sieben, acht, neun Ebenen tief geht es hinein in den Kaninchenbau. Und immer wieder schafft er es, dich erneut abzuholen. Bis du dir vorstellen kannst, dass eine mächtige Elite die Welt regiert. Was dich am Anfang Deiner Reise entsetzt hätte, erscheint dir jetzt unverdächtig.

Dazu kommt

III. Erkennst du die Wiederholungsmechanismen und kaskadierende Artikel?

Frank postet seine anfänglich unverfänglichen Nachrichten in hunderte Gruppen. Thematisch sortiert hat er sie, wahrscheinlich sogar regional. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass du in mehreren seiner Gruppen bist. Und falls du das nicht glaubst, mehrere andere Admins sind mit Frank über Bots verbunden, sie tauschen ihre Nachrichten aus.

Du bist in mehreren Gruppen und Frank – der macht das geschickt – lässt nach und nach in diese Gruppen Nachrichten einsickern, in unterschiedliche Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten. Liest du sie einmal, die Nachricht, runzelst du vielleicht die Stirne, aber hey, du bist in vielen Gruppen und die für dich scheinbar unterschiedlichen Betreiber pushen diese Nachricht auch bei sich, so sieht es für dich aus jedenfalls. Wenn für dich angeblich unterschiedliche Leute dieselbe Nachricht posten, wird sie für dich glaubwürdiger? Ja, wird sie automatisch, so tickt unser Verstand. Du glaubst sie. Du hinterfragst sie nicht mehr, du prüfst nicht die Quellen.

Du erkennst nicht, dass hinter dieser weitergeleiteten Nachricht Frank der Reisende steckt. Und erkennst nicht, dass die Nachricht aus „alternativen Fakten“ besteht, die andere Menschen Lüge nennen, Fake News. Und du folgst.

Und selbst, wenn dir die Nachricht anfänglich zu wirr, zu radikal erscheint und du sie einfach überscrollst, irgendwas bleibt zurück.

Hinzu kommen kaskadierende Artikel. Das kommt zum Tragen, wenn Artikel gepostet werden, die auf anderen Artikeln basieren, die wiederum auf anderen Artikeln basieren. Jedesmal ändert sich ein bisschen was, jedesmal wird ein wenig geändert. Mit jedem „neuen“ Artikel wird etwas verändert, rausgelöscht was nicht ins Framing passt, verkürzt oder aus dem Kontext gerissen. Du merkst es nicht, denn es gibt ja eine Quellenangabe. Yay! Aber diese Quellenangabe ist nicht die Originalquelle. Der eigentliche Urheber wird über mehrere Stufen verschleiert, der Sinn teilweise entstellt, Aussagen aus dem Kontext gerissen, wodurch sie anders wirken. Du kennst das Spiel „Stille Post“? Ja, es ist lustig. Und jetzt frag dich an welcher Stelle der Kette du sitzt, am Anfang oder am Ende. Sitzt du in der 1. Reihe oder kriegst du nur noch den Klatsch und Tratsch mit, den andere dir vorgekaut haben?

Bist du dir 100% sicher, dass du für dich selbst eine schleichende Radikalisierung und Indoktrinierung verhindern kannst, weil du gefestigt und durchdacht genug bist? Bist du der Überzeugung zu durchschauen, welches Spiel im Hintergrund gespielt wird und welche Fäden gezogen werden?

Klingt wie eine Verschwörung von wenigen gegen viele, um möglichst viele in die Fänge der Demagogen zu lenken? Wir haben ja nur einen Aluhut auf?

Au contraire. Das ist, wie Frank Schreibmüller seine Aufgabe gegenüber T-Online beschrieb, und er ist nicht der einzige, der sowas macht. Und plötzlich befindest du dich in einer Gruppe, in der davon die Rede ist, Eliten würden Kinderblut trinken, die Regierung bestünde aus Satanisten, man müsse sie alle vor ein Militärgericht stellen, Nürnberg 2.0, denn die Impfung gegen Covid würde alle töten. Im September, naja, irgendwann halt. Es wird dir gesagt, alles außerhalb sei falsch, du könntest ruhig alles glauben außer dem Mainstream. Du fragst nicht: Warum der Aufwand mit einer Pandemie und Impfstoff, wo es doch so viele schnellere Tötungsarten für die Menschheit gäbe. Auf einmal kommt dir das Radikale gar nicht mehr so radikal vor, nicht, weil es die Wahrheit wäre, sondern weil sie dich sukzessive Glauben machen, es sei die Wahrheit. Längst schon prüfst du nicht mehr, lange schon bist du nur noch pure Emotion. Du kreischt innerlich, wenn die nächste Hiobsbotschaft kommt und du fragst dich, warum es keinen Aufschrei in der Gesellschaft gibt, warum niemand aufwacht und gegen die Missstände vorgeht. Du verzweifelst, weil die Welt so grausam ist und du betrachtest die Realität mit den Augen deiner Telegramgruppe. Mit den Augen derjenigen in deiner Echokammer des Telegramchats, Leute, die dich aufstacheln, aber selten wieder runterholen auf den Boden. Du kennst sie nicht, aber du glaubst, sie zu kennen, und du glaubst ihnen.

Dann bist du da angekommen, wo Frank Schreibmüller und seine Auftraggeber dich haben wollten. Wo viele andere Akteure dich haben möchten. Du bist dort, wo Jebsen, Epoch Times, Ehrlich, Haintz und Schiffmann, Compact, 2020news und KlaTV und viele andere ungebremst auf dich einwirken, weil Kritik an deren Beiträgen von den Admins gelöscht wird oder gar nicht aufkommt. Und du gehst deren Weg mit. Du jubelst irgendwann vielleicht sogar, wenn du liest, SHAEF Commander Jansen – den es gar nicht gibt – habe wieder Todesurteile verkündet. Und du schreist jeden an, der behauptet, das stimme alles nicht. Und du merkst nicht mehr, dass das nicht mehr du bist.

Dabei bist du doch eigentlich ganz nett gewesen. Spirituell und doch bodenständig. Ja, ein bisschen verängstigt, aber doch fest im Glauben daran, dass alles gut wird, denn die Leute um dich herum müssen durch das gleiche durch. Jetzt jedoch hast du verloren. Die „normalen“ Leute um dich herum sind Gegner, wenn sie dir nicht glauben. Nur die TG-Freunde wissen, was du durchmachst. Oder? Familie? Schulfreunde? Alte Bekannte? Du denkst, sie werden schon irgendwann erkennen, nachkommen. Und wenn nicht, dann nicht. Doch du bist es, der sich verändert. Alles hängt von der Perspektive ab.

Es ist nicht schlimm, dass du die Gefahr nicht erkennst, du weißt nichts von ihr. Diese Leute, sie sind geschickt. Sie isolieren dich von deinem alten Leben. Es ist schwierig zu erkennen für Ungeübte, es ist sogar schwierig für Geübte wie uns. Unsere Aktion gestern war plakativ, laut und wild. Das war sie mit Absicht. Sie war schnell und ungestüm. Es war als Fake zu erkennen. Was ist mit den anderen Kanälen, Gruppen und Chats? Erkennst du es?

Und Telegram ist ein besonderer Fall, aber dasselbe gilt auch für Facebook und in Teilen auch für Twitter, Foren, Newsgroups und andere Netzwerke. Nur das dort Menschen wenigstens ein bisschen nach dem Rechten schauen und die schlimmsten Auswüchse beseitigen. Die Gefahren aus deinem Weg räumen. Das tun, was du Zensur nennst, weil du es nicht besser weißt.

Bei Telegram macht das niemand. Bei Telegram bist du immer allein.


Update:

In einer ersten Version des Artikels stand, bei Telgram gäbe es keinen Verifizierungsverfahren und keinen Haken, das ist falsch, das gibt es doch. Wir haben die Passage korrgiert. Es ändert aber wenig an der Aussage, da dieses Feature wenig benutzt wird von denen, um die es hier im Artikel geht.