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OpTinfoil QAnus

#QAnon: What a fraud!

Schaut man heute durch internationale Zeitungen, Twitter und die Telegram-Gruppen, so ist der Tenor klar: QAnon-Gläubige zweifeln, hoffen, glauben und meinen immer noch zu wissen, spinnen weiter, weinen, verzweifeln auf beiden Seiten des Atlantik und anderen Teilen der Welt.

War nicht ganz so, wie es sich die QAnons vorgestellt hatten, das Great Awakening, oder? Das Große Erwachen? Eher so ein Aufwachen nach einem großen Saufgelage, wenn man mit pelzigem Belag auf der Zunge, stumpfen Zähnen und tierischem Mundgeruch langsam zu Bewusstsein kommt und sich fragt, was zum Fick letzte Nacht passiert ist.

Trump ist weg, Biden ist vereidigt. Das ist passiert. Nichts sonst.

„QAnon believers are in disarray after Biden is inaugurated“, titelte CNN gestern auf ihrer Website. Und disarray – Unklarheit oder Verwirrung – trifft es eigentlich recht gut. Denn nichts ist eingetroffen. Es gab keinen „Großen Sturm“ („A storm ist coming!“ NICHT), nicht mal ein laues Lüftchen, außer der winterlichen Brise, die Bidens silbernes Haar verwehte, als er die rechte Hand zum Gelöbnis hob, und vor dem sich Bernie Sanders mit aus Wolle von aufgeribbelten Pullovern gestrickten Fäustlingen zu schützen suchte.

Kein Sturm, kein Kriegsrecht, keine Massenverhaftungen, keine Hinrichtungen, kein De-Classifying von geheimen Dokumenten, die den angeblichen Pädophilen-Ring um die Demokratische Partei und ganz Hollywood aufdecken und den Deep State in die Luft jagen sollte. Keine Trump Rückehr um 12 Uhr, keine um 14 Uhr Ortszeit Washington, nichts. Keine Militärs, die wegen der angeblich gestohlenen Wahl der Meinung waren, sie hätten jetzt nur einen Betrüger als Oberbefehlshaber, also keinen, und deswegen die Straßen Washington D.C.s nach Mitgliedern der Demokratischen Partei, Kongressabgeordneten und Helfershelfern durchforsteten.

Nichts. „Trust the Plan“? Es gab keinen Plan. Gab es nie!

„17 Flaggen wehten bei Trumps Abschiedsrede! Wie viele Hinweise sollen sie uns noch geben, damit wir auf den Plan vertrauen?“ Das schrieb einer auf Telegram, denn manche merken es immer noch nicht. Schon werden neue Theorien gesponnen. „The best is yet to come“, sagte Trump zum Abschied. ZUFALL????? Trump und Biden wurden in einer geheimen Operation die Gesichter ausgetauscht, Biden ist eigentlich Trump. Und eigentlich sind es eh alle Klone, Trump zieht im Hintergrund die Fäden…

Quelle https://twitter.com/schwurbelwatch

Nein. Nichts von alledem. Die Sonne ging an diesem Morgen nach der Amtseinführung auf, als wäre nichts geschehen, weil einfach nicht geschehen ist, was die QAnons sich ausgemalt hatten. An diesem Morgen in den USA scheint die Sonne und entblößt, was QAnon eigentlich ist: Ein riesiger Hoax.

Ron Watkins, der Mann, den viele für einen der Miturheber der Q-Drops halten, jener „Weisheiten“ und Prophezeiungen an die so viele QAnon-Anhänger glauben, aus denen sie ihre Theorien gesponnen haben, bringt es in seinem Telegram Kanal auf den Punkt.

„We have a new president sworn in and it is our responsibility as citizens to respect the Constitution regardless of whether or not we agree with the specifics. […] As we enter into the next administration please remember all the friends and happy memories we made together over the past few years.”

https://www.washingtonpost.com/technology/2021/01/20/qanon-trump-era-ends/

All die Freunde und fröhlichen Erinnerungen? „Es ist unsere Verantwortung als Bürger, die Verfassung zu achten, ungeachtet dessen, ob wir mit den Details einverstanden sind oder nicht“, schreibt Watkins weiter. Ja richtig, ist aber nichts Neues, ist immer so gewesen. Das ist das Teil des Wesens einer Demokratie.

Für Watkins ist es erstmal vorbei. „Jetzt heißt es ‚Kopf hoch‘ und zurück zum Leben, so gut uns das möglich ist“ (Original: „We need to keep our chins up and go back to our lives as best we are able“). Wenn er das schreibt, dann ist es vorbei. Und vorbei ist vorbei. Oder?

QAnon ist ein Kult, keine Theorie. Und jetzt reiben sich viele die Augen.

Doch so einfach kommt man nicht los. Leicht ist das nicht. Für einige Akteure bricht eine ganze Welt zusammen, denn „die Satanisten“ haben gewonnen. Zu denen zählt die weinende Amerikanerin, deren Zusammenbruch auf ernstzunehmende psychologische Schäden durch QAnon hindeutet.

Dazu zählt Oliver Janich, der alles von seinem Domizil auf den Philippinen beobachtete und im Verlauf des gestrigen Abends immer angepisster wurde.

Wieder andere suchen nach Schuldigen, wie Attila Hildmann, der die Namen derjenigen haben will, die diese Q-Sekte bekannt gemacht haben.

Spioniker wäre so einer. Auch seine Telegram-Kumpels wie „Haunsi Appmann“ und Xavier Naidoo könnte man nennen. Er selbst gehört auch dazu.

Aber das wären nur die Bekannteren. Zu denen, die QAnon auch in Deutschland groß machten, gehören auch die mit den Q-Schildern auf Demos, diejenigen, die ihre Verwandten mit WhatsApp-Nachrichten nervten, die Jahrzehnte alte Freundschaften abbrachen, weil der andere den QShice nicht glauben wollte.

Und andere sind einfach nur desillusioniert. Wie derjenige, der auf Telegram schrieb: „It’s over. It is sadly, sadly over.“ Ein anderer schrieb: „What a fraud!“ – was für ein Betrug. Ja. Dabei hatten sie doch versucht, an den Plan zu glauben.

QAnon hatte nie eine wirkliche Faktenbasis, es gab keinen Plan. Nichts ist wirklich so, wie QAnons es sehen. Nichts ist wirklich von ihnen. Der Kaninchenbau, die blaue und die rote Pille (Matrix), eine Kinderblut trinkende Elite (Ritualmordlegende), die Guy Fawkes Maske (Anonymous), sie haben nichts eigenes, außer dem 17. Buchstaben des Alphabets und einer abwegig zusammengefickten Welt-Theorie, nach der sogar Angela Merkel Hitlers Tochter ist.

QAnon ist wie Abulafia, der Computer aus Umberto Ecos Buch „Das Foucaulsche Pendel“. Kennt ihr?

Bald sind Belbo, Diotallevi und Casaubon nur noch mit gewaltigen Mengen okkulter Manuskripte befasst, die in zuweilen lächerlicher Weise die verschiedensten Verknüpfungen zwischen historischen Ereignissen herstellen. Zudem engagieren sie Agliè als Spezialisten, der ihnen als Gutachter Hinweise zu Wert oder Unwert eingereichter Manuskripte geben soll. Teils als Satire auf die Verschwörungstheorien, mit denen sie ihr Geld verdienen, teils als vermeintlich überlegenenes intellektuelles Spiel beginnen die drei ihre Version des „Großen Plans“ zu entwickeln. Ausgehend von Ardentis „geheimem Manuskript“ spinnen sie ein immer komplexer werdendes Netz geheimnisvoller Verbindungen. Dabei benutzen sie Belbos PC einer frühen Generation, der den Spitznamen Abulafia trägt. Der Rechner wird von Belbo so programmiert, dass er Verknüpfungen herstellt, die neue Inspirationen für den Plan liefern, indem er nach dem Zufallsprinzip Sequenzen aus echten esoterischen Schriften und Verschwörungstheorien mit logischen Operatoren („Die folgende Aussage ist unwahr“, „Wenn“, „Dann“), Plattitüden (z.B: „Die Templer haben mit allem zu tun“) und neutralen Daten (etwa: „Minnie ist die Verlobte von Micky Maus“) verknüpft, um so Texte und weitere Motive zu generieren.

Wikipedia

Der Q-Plan, er existierte nie. War nie real. Er war eine Erfindung von Leuten, die erst Spaß daran hatte, Menschen zu foppen, und dann merkten, dass sie diese große Gruppe für ihre Zwecke benutzen konnten.

Nach einem Saufgelage schaut man sich um, reibt sich die Augen und fragt sich, wie viel Geschirr wohl auf dieser Party zu Bruch gegangen sein mag. Wie viele Freundschaften zerbrachen, und wie reißfest sind die neuen, die teilweis nur virtuellen „Bande“ zwischen den QAnon-Anhängern?

Sie werden gehalten allein durch einen Kult um den vergangenen Präsidenten, um Verschwörungen rund um Blut trinkende, Kinder fressende und mißbrauchende Eliten, durch ein paar lose hingeworfene „Hinweise“ einer Gruppe von Spinnern, die wild onanierend durch die Gegend rannten, jedesmal, wenn sie sahen, wie ihre Drops zu Theorien gesponnen wurden, die so absurd waren, wie die Annahme, die Erde sei eine Scheibe.

“It simply doesn’t make sense that we all got played“, schrieb einer in einem QAnon-Channel. Und doch, wenn ihr euch die Zähne geputzt habt, eine Kopfschmerztablette eingeworfen habt und der Nebel des Katers sich lichtet, dann ist es genau das einzige, was jetzt noch Sinn macht. Es wurde mit Euch gespielt. You got played! You have been duped!

Ihr wurdet benutzt und verarscht. Nach Strich und Faden.

Ist der QAnon-Spuk jetzt am Ende? Wahrscheinlich noch nicht. Trotz ist eines seiner hervorstechendsten Merkmale, Flexibilität ein anderes. Mag sein, dass die erst verlachte, dann unterschätzte, sehr gefährliche Bewegung jetzt zerfällt. Mag sein, dass sie sich sammelt und weitermacht.

Aber egal was jetzt geschieht: was von diesem Theater in jedem Fall bleibt, ist ein leider wieder öffentlicher, ungenierter Antisemitismus, trotzige Widerworte, öffentliche und laute, unverzeihliche Aufrufe zur Gewalt, stolz zur Schau getragene Staatsfeindlichkeit, die Einsicht, dass es Menschen in unserer Mitte gibt, auf deren Solidarität man sich in Krisenzeiten nicht verlassen sollte, und die Gewissheit, dass nichts so dermaßen anziehend ist wie ein „guter“ Verschwörungsmythos, die dunkle Seite.

Noch ist es nicht vorbei.

Die Furcht vor Verlust ein Pfad zur Dunklen Seite ist.“

— Meister Yoda


Update 22.01.2021, 14:19 Uhr

Die Frankfurter Rundschau mutmasst, dass sich QAnon zu einer eigenen Religion entwickeln könnte, weil es so schwer sei, sich von diesem Verschwörungsglauben zu lösen.

Einige der Anhänger:innen von QAnon haben, wenn nicht ihr Leben, dann doch ihre körperliche Unversehrtheit und ihre Freiheit aufs Spiel gesetzt, weil sie so überzeugt von den Verschwörungserzählungen sind, die QAnon repräsentiert. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sich die Bewegung verselbstständigt und zu einer eigenen Religion entwickelt. Genug Anhänger:innen hat sie inzwischen alle mal, daran ändert wohl auch nichts, dass sich nach der Wahl unter den QAnon-Anhänger:innen Enttäuschung breit machte.

Frankfurter Rundschau

Update 23.01.2021, 04:45 Uhr

Der Innenmeninster von Thüringen, Georg Maier, hat sich für eine Beobachtung der QAnon-Bewegung durch den Verfassungsschutz ausgesprochen.

Maier hält QAnon auch in Thüringen für gefährlich. „Das kann ein Treibsatz sein für Radikalisierung“, so der Innenminister. Die Attentäter von Halle und Hanau hätten sich über Verschwörungstheorien radikalisiert. Wegen ihres antisemitischen Kerns sei QAnon besonders perfide und gefährlich.

https://www.mdr.de/thueringen/qanon-verfassungsschutz-beobachten-maier-100.html

Update 24.01.2021, 11 Uhr

Ein weiterer interessanter Beitrag zu QAnon im Blog von GWUP: „QAnon-Bewegung: Zwischen Resignation und Radikalisierung“