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Anonymous Meinungsecke

Über Online-Aktivismus, Strukturen und Anonymous

Online-Aktivismus, Hacktivismus und Anonymous sind keine Mode-Gags, sondern eine Lebenseinstellung oder auch ein Hobby.

Du hast „loses Kollektiv ohne Anführer und Strukturen“ gelesen und denkst dir: „Das ist genau mein Ding!“ Vorher hast du natürlich schon hier und da von diesem Anonymous gelesen und gehört. Du bist dir sicher, du willst unbedingt dabei sein.

Nach ein bisschen Recherche kennst du gängige Social Media Accounts von diesem Anonymous und hast sogar ein deutsches Netzwerk gefunden, wo man sich austauschen kann, cool!

Du meldest dich also in einem Webchat an, wo du als Header „Element“ oder „Matrix“ liest und denkst dir erst einmal nichts dabei. Dein Account ist erstellt, du bist eingeloggt und findest dich erst mal in 3 Default-Räumen wieder. Du möchtest aber natürlich dort mitlesen, wo sich Anons tummeln, welche zum Beispiel bei Operation Tinfoil mitwirken.

Du hast nun nach ein paar Minuten das Raumverzeichnis für dich entdeckt und den Channel „OpTinfoil“ gefunden, du klickst auf „Raum betreten“ und bist nach ein paar Sekunden drin! Viele Stunden liest du in diesem Raum mit und hast dich bisher nicht getraut etwas zu schreiben. Die Leute dort teilen Links, Texte und Screenshots miteinander, eine Informationsflut trifft deinen Kopf wie eine unaufhaltsame Welle und du brauchst eine kurze Pause und schaust dir dieses „Matrix Netzwerk“ genauer an …

…und findest Strukturen!

Viele Strukturen sogar, wie zum Beispiel strukturierte (Operations) Räume mit Mods & Admins oben in der Liste, einen Raum der „Server Rules“ heißt und im Raum „OpTinfoil“ steht sogar im Topic „Bildet Arbeitsgruppen in E2E verschlüsselten Räumen“.

Nun bist du verwirrt: hieß es nicht, Anonymous sei strukturlos und dezentral?

Du findest den Raum „Operation Ideas“ und bist neugierig, du bist diesem Raum direkt beigetreten und landest gerade in einer hitzigen Debatte unter anonymen Menschen. Dort geht es um eine vorgeschlagene Idee, ein Video zum Thema „Hass im Internet“ zu gestalten. Jemand wirft als weitere Idee ein: „Warum nur ein kurzes Video? Wie wäre es mit einem Blogpost auf AnonLeaks? Die machen das bestimmt!“ Einige Zeit später kommt der nächste Vorschlag: „Warum nicht gleich ein Forum für Opfer von virtueller Hassgewalt aufsetzen und Psychologen & Therapeuten involvieren?“

Du hast nun nicht mehr einfach nur 3 Fragezeichen über dem Kopf, sondern direkt Zehn. Du liest fleißig mit, die Debatte scheint ziemlich hitzig zu sein. Jeder tut seine Meinung kund, einzelne Chat-User gehen sich gegenseitig an, machen sich Vorwürfe oder hauen sich harten Sarkasmus um die Ohren. Nun schreibt jemand „#NichtmeinAnonymous“ und darauf antwortet eine andere Person „Ich kann doch machen was ich will oder? Ist doch ein loses Kollektiv? Du vergisst den dezentralen Charakter! Wir müssen von diesem Obrigkeitsdenken wegkommen.“

Was denkst du nun? Was hat das mit dir gemacht? Warum gibt es Strukturen in Anonymous und warum wird dort hitzig, fast toxisch debattiert?

Nun, wir versuchen nun Antworten zu liefern. Denn so geht es täglich einigen Neuen, nicht nur dir!

Der Mythos von absoluter Strukturlosigkeit und unendlicher Freiheit

Gehen wir mal auf den Ursprung von Anonymous zurück: 4Chan.

Dort konnte man wirklich davon reden, dass es strukturlos war und vor allem sehr chaotisch. Seit Anonymous jedoch 2008 das erste Mal mit Chanology als Kollektiv mit Schlagkraft in Erscheinung getreten ist, gab es die ersten Strukturen. Anons organisierten sich außerhalb von 4Chan auf IRCs, in XMPP Chats oder kleinen Foren. Und die meisten Anons hatten auf einmal persönliche Nicknamen und hießen nicht mehr einfach nur „Anonymous“, wie man es vorher von Image Boards kannte.

Statt nur gemeinsam einen virtuellen Hotelpool zu besetzen, ging es auf einmal darum, wirklich etwas zu bewegen. Und das unter den Augen der Öffentlichkeit, die längst aufmerksam geworden war. Und man stellte fest, dass statt loser, chaotischer Einzelaktionen die gemeinsame Operation im Namen des Kollektivs mehr Wirkung erzielte.

Worauf man hinaus will: Wenn eine Operation oder Aktion Erfolg haben soll, kann man diese nicht einfach strukturlos und ohne ein kleines Mindestmaß an Regeln laufen lassen, das funktioniert erfahrungsgemäß nicht.

Komplexe Ops und Aktionen, sie bedingen ein gewisses Maß an Absprache und Koordination. Teams, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen, auch innerhalb einer Op, müssen koordiniert werden: Hacker ziehen 400 GB Dateien von der OCG, andere gehen die Dokumente durch, Informationen werden gesammelt und ggf. an Teams übergeben, die wissen, wie man daraus einen Artikel baut, wieder andere verbreiten diese Infos. Struktur.

In der Öffentlichkeit ist Anonymous lose und größtenteils strukturlos. Jeder kann Anon sein, wenn man es will. Selbst wenn man nur V wie Vendetta geguckt hat und sich eine Guy Fawkes Maske kauft. Und jeder kann jederzeit aufhören, Anon zu sein. Man muss sich nicht anmelden, man muss sich nicht abmelden. Man muss nicht um Erlaubnis fragen, um mitzumachen.

Doch intern, wo es um Aktionen, Operationen und Aktivismus geht, wirst du Strukturen & Regeln finden.

Das beginnnt schon damit, dass Anon XY eine Idee hat und andere Anons dazu holt, um eine Aktion durchzuführen. Dabei wählt er aus, wen er für vertrauenswürdig hält. Doch es kommt auch vor, dass dieser Anon dem Neuen, der mitmachen möchte, sagt, er würde ihn derzeit nicht in ein Team holen, weil er sich noch nicht als zuverlässig und vertrauenswürdig erwiesen hat. Struktur.

Erfahrene Anons leiten die Neuen an, wie sie ihre OpSec konfigurieren. Sie erklären Zusammenhänge und Nogos. Ein Anon ist in einem Raum auf dem Matrix-Server Admin, in einem anderen normaler User. Struktur.

Egal ob es dir passt oder nicht: in einem Netzwerk bilden sich Strukturen. Dies ist schon immer so in größeren Netzwerken gewesen.

Auch auf dem Hive-Mind Matrix-Server gibt es daher Struktur in Form unterschiedlicher Arbeitsgruppen, Ops. Und es gibt auch wenige Regeln, welche aber recht überschaubar sind:

  • Keine öffentlichen Aufrufe oder Verabredungen zu Straftaten
  • Kein pädophiler Content
  • Kein extremistisches Trolling (rechts, links, Religion usw)

Diese wenigen Regeln sind zum Beispiel auch einer der Gründe, warum Diskussionen dort hitzig oder toxisch sein können, jedoch haben Moderatoren immer ein Auge drauf. Harte Debatten ja, Leute bedrohen oder extrem beleidigen nein. Wenn wir eines in den letzten Jahren auf Social Media verlernt haben, dann sind es Diskussionen oder Debatten zu führen, selbst wenn diese mal etwas härter sind. Blocken, melden oder gar canceln sind mittlerweile Alltag geworden und das ist traurig.

Was bedeutet dann „keine festen Strukturen“ und dezentral? Dass es keine zentrale Instanz gibt, die bestimmt; dass es Anonymous-Gruppen gibt, die sich nicht auf dem Matrix Hive-Mind treffen, sondern im IRC oder auf Twitter oder die sich einfach auf Twitter per DM abstimmen; dass es Anons gibt, die meinen, gegen eine angeblich drohende NWO zu kämpfen sei wichtiger, weil sie Informationen anders einordnen; dass es Anons gibt, die einfach bei OpMyanmar und OpTinfoil mitmachen und das problemlos möglich ist; dass es keinen Daddy und keine Mommy gibt, die bestimmen.

Aber gibt es deswegen auch niemanden, den man um Rat fragen kann?

Es gibt keine Anführer – es gibt aber sehr erfahrene Anons

Und deren Rat kann Gold wert sein.

Klar, jeder kann erst mal von sich behaupten „YO! Ich bin schon lange dabei, 1 richtiger Vollblut-Anon.“ Dies will man der Person dann auch nicht aberkennen. Jedoch erkennt man Oldies oder Hartkernler nicht nur am Schreibstil und der Sprache, sondern auch am Denken und Handeln – und das relativ schnell. Es muss sich niemand dafür schämen, neu dabei zu sein oder bei gewissen Themen keine Ahnung zu haben. Grundehrlichkeit ist im Kollektiv äußerst wichtig und beliebt – außer es geht um deine Identität, da solltest du natürlich besser schweigen oder lügen 😉

Bei Anonymous gilt: auch wenn es keine Anführer gibt und man sich absolut nicht unterzuordnen braucht, ist es manchmal besser, den Rat einer erfahrenen Person anzunehmen, ohne sich unterdrückt fühlen zu müssen. Denn starker Tatendrang gepaart mit Übereifer kann sehr kontraproduktiv sein. Vielleicht meinst du es auch nur gut, wenn du jetzt genau in diesem Moment eine Aktion oder Operation anzetteln willst. Aber erst denken, dann starten, ist immer die bessere Option. Oft genug kam das Thema auf „Lasst uns doch mal armen Menschen helfen im Namen von Anonymous?“ Ansich immer eine gute Idee, Menschen helfen zu wollen. Aber warum braucht man dafür ein Label wie Anonymous? Wenn du zum Beispiel einem Obdachlosen hilfst, musst du da dabei keine Guy Fawkes Maske tragen, das muss von Herzen kommen, und ohne eine Maske ist es vermutlich auch persönlicher, oder nicht? Ebenfalls sollte man nicht einfach irgendwelchen Personen des öffentlichen Lebens gegenüber Support aufdrücken. Am Ende ist Anonymous noch immer ein Kollektiv, welches viele Aktionen gemacht hat, in deren Verlauf Gesetze gebrochen wurden. Nicht jeder findet Anonymous cool und nicht jeder will sich mit den Stilmitteln von Anonymous identifizieren (müssen). Viele finden insgeheim gut, was Anonymous macht und bewirkt, würden das aber öffentlich und auf Parties nicht sagen, weil sie die Methoden nicht unterstützen oder gutheißen dürfen.

Und es passiert sehr schnell, dass Anons, die schon länger dabei sind, eben solche geplanten Aktionen oder dich kritisieren, oft auch mit härteren Worten. Weil eben jene Anons solche Sachen schon 100 Mal (oder öfter) in den letzten Jahren durchgekaut haben. Und wenn dir ein erfahrener Anon sagt „Glaub mir … das wird so nichts“, kann man diesen Rat ruhig annehmen, ohne dass man da direkt an „Unterdrückung“ oder „Unterwerfung“ denken sollte. Niemand wird dir vorschreiben, was du tun sollst oder zu machen hast, niemand wird dir was verbieten, jedoch ist Kritik wichtig. Und nein, man muss nicht immer alles toll finden, was an Ideen in den Topf geschmissen wird, sonst wären wir schon bei Operation 99999999 oder so.

Selbstdarsteller, Riesen-Egos und Leute ohne Teamwork-Fähigkeit haben schon im Vorfeld verloren

Online-Aktivismus & Hacktivismus im Bezug auf Anonymous sind keine Mode-Gags, sondern gehen schon eher in Richtung Lebenseinstellung oder Hobby. Wenn du nur dabei sein willst, um cool zu sein, ist das deine Sache. Wenn du dabei sein willst, um dich via Social Media selbst zu pushen, Likes zu sammeln (oder gar Geld) und mit Taten zu prahlen, dann bist du fehl am Platz. Solche Selbstdarsteller gab es schon zur Genüge. Diese Menschen haben ein Problem damit, mit dem Schwarm zu fliegen und (krasse) Aktionen im Namen der Bewegung (Anonymous) verkünden zu lassen, weil es mit dem eigenen Namen oder Handle doch cooler wäre. Solche Leute entlarven sich selbst relativ schnell und enden meist in der Streamer oder Influencer Sparte, bzw. machen ihre eigene „Anon“ Gruppe auf und floppen auf kurz über lang. Etliche Anonymous Facebook Gruppen (mit gängigen Klarnamen, welche in der Szene bekannt sind), Telegram Gruppen, Mario Rönsch und auch diverse Instagram und Twitch Heroes (wie zB Kastius) waren alles mal Anons (einige sind es natürlich immer noch, nur eben anders und vor allem nicht anonym). Anons, welche es nicht geschafft haben, mit dem Schwarm zu fliegen, anonym zu bleiben oder mit erfahrenen Leuten zusammen zu arbeiten, welche evtl. auch mal mehr Ahnung haben könnten. Anons, deren eigenes Ego ihnen selbst im Wege stand, als sie versuchten, Teil von Anonymous zu sein.

Was auch nicht funktioniert: Bestehende Netzwerke oder Gruppen in eine Richtung zu lenken, welche du persönlich toll und wichtig findest. Selbst, wenn du 2-3 Leute im Schlepptau hast, welche deine Agenda toll finden. Am Ende werdet ihr leider gegen eine Wand laufen. Wir persönlich zum Beispiel haben schon öfters Versuche der Unterwanderung auf diversen Netzwerk erlebt und sogar verhindert (z.B. damals auf IRC). Die damalige Unterwanderung durch Mario Rönsch auf Facebook hat geklappt, die Admins dort waren naiv bzw. haben ihm vertraut und zack, war die Seite weg und die Mods gekickt. Und ihr alle kennt die Geschichte mit Rönsch, sowas passiert nur einmal und nie wieder. Wenn man also eine Front bildet, um seine persönliche Agenda durchzuboxen (Anonymous lenken zu wollen), muss man gegebenfalls mit Gegenwind rechnen, der nicht unbedingt schön und freundlich sein wird. Einfacher ist es, seine eigene Operation zu gestalten und Anhänger dafür zu finden – bei bereits größeren und erfolgreichen Operation gilt halt eher: „Never change a running system“ und das wirst du definitiv merken, wenn du versuchst umzustrukturieren.

Warum fühlen sich manche von Accounts mit Reichweite bedroht oder bevormundet?

Keine Ahnung, können wir nicht beantworten. Dieses Phänomen ist aber schon öfters aufgetreten und vor Kurzem auch wieder. AnonNewsDE als Sprachrohr für einen großen Teil des deutschen Ablegers bevormundet niemanden. Klar machen wir uns mal über Anons auf Abwegen lustig bzw. bashen diese, oder distanzieren uns von komischen Gruppen, jedoch sollen sie machen und denken was sie wollen, es ist ihr Weg, ihr Ziel und nicht unser Bier.

Selbst auf Matrix mischt AnonNewsDE kaum mit, kommt nur dort online, wenn es wichtige Infos gibt, Leute sich die Köpfe einschlagen (weil die Egos gerade mal wieder zu groß sind) oder Journalisten uns dort sprechen wollen. Ansonsten hocken wir pseudo-offline dort herum und haben nur Highlights auf Trigger-Wörter aktiviert, wofür man auch Push-Benachrichtigungen bekommt. Ja, wir kriegen also mehr mit als man denkt, aber wir mischen uns so gut wie nie ein. Wir steuern keine Operationen, wir befehligen niemanden, nichts. Trotzdem gibt es immer wieder einzelne Leute, welche sich durch uns „bedroht“ fühlen. Das geht sogar soweit, dass man AnonNewsDE „Wannabe Leader“ nennt oder uns durch die Blume Obrigkeit unterstellt. Aber es interessiert uns nicht. Uns interessiert ebenso wenig welche Hautfarbe du hast, wo du herkommst, welcher Religion du folgst und und und.

Was uns aber interessiert: Vernünftige Konversationen, an einem Strang ziehen und Anons, welche liefern und nicht nur reden oder Infos zurückhalten! Oft antworten wir auch nicht auf PNs oder Mails, wenn diese ins Nichts führen oder inhaltlich mehr Baustelle als Infos liefern. Das hat aber nichts mit Arroganz oder ähnlichem zu tun. Täglich bekommen wir viele Mails, PNs (Twitter, FB, Matrix) und Mentions, wir haben leider nicht für jeden Zeit und wir sind auch kein Service, wo man sich seine Aufmerksamkeit auf Abruf holen kann.

Ebenso ist es uns selbst überlassen, welche Themen, Aktionen & Operationen wir erwähnenswert finden bzw. verbreiten, auch wenn das natürlich bei manchen sauer aufstößt, weil sie sich zum Beispiel Mühe gegeben haben. Es ist halt nicht so einfach: Medien, Journalisten, NGOs, Blogger und Kritiker gucken auf das Sprachrohr (AnonNewsDE, etabliert seit 2011) und arbeiten mit den publizierten Informationen, weil sie wissen, dass diese von AnonNewsDE veröffentlichten Informationen geprüft und gegengeprüft sind – was im Übrigen auch für AnonLeaks gilt.

Nebenher warten Kritiker wie auch bestimmte Journalisten nur darauf, dass Fehler, schlechte Recherchen oder „Fail Ops“ gemacht werden.

Würde man als Sprachrohr für ALLES offen sein, bräuchten wir vermutlich 100 Leute, die twittern, und würden nur noch Spendenaufrufe für Menschen oder Tiere in Not machen, Trauerbekundungen retweeten oder Gedenktage recherchieren, damit man diese teilen kann. Nur weil AnonNewsDE mal nicht an einen Gedenktag denkt oder diesen Aufruf teilt, hat das nichts zu bedeuten. Es ist nicht positiv und auch nicht negativ, wenn du aber damit ein Problem hast, so ist es dein Problem.