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Hintergründe OpTinfoil Schwurbel

Lektionen in Framing

Es geht die Mär, der mRNA-Impfstoff sei aus Zellen eines menschlichen Embryos. Das ist natürlich nicht wahr. Aber nehmen wir es als ein schönes Beispiel dafür, wie man Tatsachen verdrehen kann, damit sie einem ins Konzept passen.

Wer uns hier schon etwas länger liest, dem dürfte es nicht neu sein, dass Schwurbler aller Couleur gern einen bestimmten Fakt herausgreifen und in den eigenen kleinen verstörten Kontext einpassen. Der fachliche Überbegriff für das Einpassen in ein bestimtes Deutungsraster lautet „Framing“ (1).

Bitte nicht verwechseln: wenn der Schwurbelprofessor Homburg einzelne Daten aus Datenreihen entnimmt, bis diese zu seiner Aussage passen, ist das kein Framing sondern homburgen (2).

Wenn man dieser Tage jedoch mal wieder auf irgendeinem sozialen Kanal die aufmerksamkeitsheischende Nachricht erhält, dass der neue Impfstoff an Nierenzellen von abgetriebenen Föten getestet oder aus selbigen gewonnen wird, dann fällt das tatsächlich in den Bereich von Framing, weshalb wir der Meinung sind, dass hier der Rahmen gerade gerückt werden muss. Setzt darum Eure Aluhüte ab, nehmt Euch ein kühles Getränk und folgt uns einmal mehr auf einen kleinen Trip in die ebenso spannende wie eigentlich ganz nüchterne Welt der Zell- und Molekularbiologie.

In diesem Mikroskosmos drehen sich im Bereich der Grundlagenforschung viele Projekte um die Aufklärung zellulärer Mechanismen; sei es z.B. physiologische Prozesse der Zelle zu entschlüsseln oder pathologische Effekte aufzuklären.

Da eine einfache Beschreibung von zellulären Vorgängen selten ausreicht und auch nur der halbe Weg zur Erkenntnis ist, geht mit solchen Projekten auch immer eine gezielte Manipulation der untersuchten Prozesse einher. Diese Manipulation kann ganz unterschiedlicher Weise sein; vom Einsatz verschiedener pharmakologischer Wirkstoffe bis hin zu genetischer Manipulation.

Um am Ende aussagekräftige und reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, kommen ForscherInnen nicht um den Einsatz von biologischen Modellen herum. Diese etablierten Modelle sind ebenso vielfältig wie die Fragen in den Lebenswissenschaften selbst – jedes davon mit seinen eigenen Vorzügen und Limitationen.

So hat jeder von uns schon einmal vom Einsatz verschiedener Organismen wie Bakterien, Hefen, Fruchtfliegen, Würmern, Fischen und Mäusen gehört. Aber auch die Arbeit mit Zelllinien gehört in das Standardrepertoir der Lebenswissenschaften.

Zelllinien sind (anders als Primärzellen) Zellen einer Gewebeart, die aufgrund verschiedener genetischer Defekte die Fähigkeit zur unendlichen Teilung wiedererlangt haben und dadurch beliebig lange unter Kulturbedingungen gehalten werden können (3). Im Gegensatz zur Arbeit mit komplexen Organismen bietet die Arbeit mit Zellen den ForscherInnen die Möglichkeit, zelltypspezifische Effekte oder Streuungen innerhalb einer Population zu minimieren. Gleichzeitig können mit überschaubaren Aufwand und Kosten auch Mechanismen höherer Organismen (eg Säugetiere) untersucht werden.

Im Hinblick auf Verfügbarkeit, Handhabbarkeit und möglichem Erkenntnisgewinn stellen Zelllinien somit ein wertvolles Werkzeug im Labor dar.

Zelllinien gibt es ihrer Zahl viele und sie können über verschiedene Quellen bezogen werden (z.B. 4). Schaut man in die Kataloge, so scheint es keinen Zelltyp eines beliebigen Organismus zu geben, den man nicht in Zellkultur gebracht hat. Doch zwischen unzähligen speziellen Zelllinien gibt es auch einige Allrounder, die sich in vielen Laboren finden lassen.

Diese tragen klangvolle Namen wie CHO, HEK, HeLa und COS7.

Während CHO-Zellen 1957 aus den Ovarien von chinesischen Zwerghamstern (Chinese Hamster Ovarie) isoliert wurden, entstammen COS-Zellen der afrikanischen grünen Meerkatze (5, 6). Beide Zelltypen werden häufig für die biotechnologische Herstellung von Proteinen verwendet.

Die epithelialen HeLa-Zellen haben ihren Ursprung in einem Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs) der Amerikanerin Henrietta Lacks. Der Umstand, dass die Zellen seit ihrer Entnahme im Rahmen einer therapeutischen Verlaufskontrolle Anno 1951 viele Jahre ohne das Wissen der Familie in zahlreichen Laboren kursierten und irgendwann auch die komplette genetische Sequenzinformation vorlag, entfachte mehrfachen Streit – juristisch wie auch ethisch (7).

Ebenfalls menschlichen Ursprungs sind HEK-Zellen (Human Embryonic Kidney). Gewonnen wurden sie 1973 aus den Nierenzellen eines Fötus nach dessen Abtreibung und wurden unter Verwendung viraler DNA unsterblich gemacht (immortalisiert) (8,9).

Das darf man alles sehr befremdlich finden oder gar ablehnen. Will man jedoch den Menschen erforschen, um z.B. neue Therapien zu entwickeln, kommt man nicht um die Verwendung von Material menschlichen Ursprungs umhin. Somit ist es nicht verwunderlich, dass für die Entwicklung & Herstellung eins Präparats zum Einsatz am Menschen humane Zellen eine Rolle spielen.

Dies war bereits bei früheren Impfstoffen der Fall (10) und ist es auch bei einigen Sars-CoV-2-Vakzinen. So werden z.B. die im AstraZeneca-Präparat enthaltenen Adenoviren (die es laut Lanka, Eckert & Co ja gar nicht gibt) in HEK293-Zellen hergestellt und nach Aufreinigung als Vehikel für die einzubringende DNA verwendet.

Bei den mRNA-basierten Impfstoffen wurde im Zuge der Entwicklung zumindest die Effizienz der verschiedenen mRNAs zur Fragmentsysnthese in diesen Zellen ermittelt (11, 12).

Wichtig ist jedoch: Bei keinem der zu erwartenden Impfstoffe sind die Zellen in irgendeiner Art selbst Teil des Impfstoffs! Das zu behaupten, das ist dann schon kein Framing mehr.

Wer sich wegen Zellen, die vor knapp 50 Jahren während eines legalen Schwangerschaftsabbruchs gewonnen wurden, dem Aufschrei anschließen möchte, entledige sich vorab bitte jeglicher tierischer Produkte und prekär gefertigter Güter.

Framing gehört in der Kommunikationswissenschaft zum Bereich Agenda Setting, zum Plan sozusagen. Um die Agenda zu erfüllen, werden eigentlich unspektakuläre Tatsachen – wie das mit den Zelllinien – so dargestellt, dass es bei der Klientel der Impfgegner einen kalkulierten Aufschrei produziert.

Im Grunde machen es diese Leute also genauso wie die von ihnen so verhassten „Systemmedien“. Ihr Framing ist genauso Teil des Agenda Setting…

TL;DR

Anstatt auf einen weiteren Puzzlesteins in der Adrenochrom-Verschwörung sind unsere #Quersenker lediglich auf eine 50 Jahre alte Standard-Zelllinie aus dem Labor gestoßen.

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Framing-Effekt#:~:text=Framing%2DEffekt%20oder%20Framing%20(deutsch,Theorie%20der%20rationalen%20Entscheidung%20erkl%C3%A4ren.
  2. https://anonleaks.net/2020/optinfoil/jetzt-leider-offiziell-sachsen-wurde-gehomburgt/
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Zellkultur
  4. Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ)
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/CHO-Zellen
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/COS-Zellen
  7. https://de.wikipedia.org/wiki/HeLa-Zellen
  8. https://en.wikipedia.org/wiki/HEK_293_cells#cite_note-1
  9. https://web.archive.org/web/20170516050447/https://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/01/transcripts/3750t1_01.pdf
  10. https://www.historyofvaccines.org/content/articles/human-cell-strains-vaccine-development
  11. https://www.sciencemag.org/news/2020/06/abortion-opponents-protest-covid-19-vaccines-use-fetal-cells
  12. https://www.nature.com/articles/s41422-020-00392-7