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14 mal nachgedacht in 88 Millionen Jahren

Eilmeldung: Elon Musk nach Nachtschicht auf Twitter mit Überdosis Redpills aufgefunden!

Auf Twitter wird es bunter. Also mit mehr bunten Haken. Gold für Firmen, Grau für Regierungsorganisationen, Blau für $8chan und Pink für diejenigen, die von Rechtsextremen als Ziel markiert wurden. Oder so ähnlich, man kommt ja nicht mehr hinterher.

Der Chief Twit schart mit rechtsextremen Codes eine Armee von braunen Trollen, roten MusQ-Anons und sonstigem Siff aus dem Exil hinter sich – unter dem Schlachtruf eines Kulturkampfes gegen woke faule Eliten, die alleine mit dem Konsum von Avocadotoast die Medien und Demokraten steuern.

Auf der anderen Seite herrschen zwei Farben vor: Rot vor Wut über den Verlust des auch bisher schon mit viel Mühe halbwegs sauber gehaltenen digitalen Wohnzimmers oder Blau vom „mit angehaltenem Atem auf einen Zusammenbruch Twitters“-Warten.

It’s the final Countdown, wieder und wieder und wieder

Noch läuft Twitter halbwegs stabil, was unwissende Menschen als Beweis der Nutzlosigkeit der entlassenen Entwickler bei Twitter sehen – als ob Software nur durch ständiges Kohleschaufeln in den Maschinenräumen der Datencenter am Laufen gehalten werden würden und nicht durch die harte Arbeit ebenjener Entwickler, die Software ausfallsicher und selbstreparierend zu designen.

Die eigentliche Botschaft ist natürlich der „Win“ gegen die verhassten linken woken zensurliebenden verwöhnten faulen … Tweeps die nun eine Lektion „im echten Leben“ erhalten.

Noch hat Twitter ausreichend Bargeldreserven. Elons interne Mail ist gegenwärtig nur ein weiterer Hebel, die restlichen Beschäftigten zusätzlich auszupressen. Der Kampf um Werbekunden wird mit harten Bandagen geführt, durch Zuckerbrot in Form massiver Rabatte und öffentlichem Peitscheschwingen in Richtung Apple mit insinuierten Anti-Freespeech-Unterstellungen sollen Firmen wieder auf Time-Linie gebracht werden. Die Abhängigkeit vom App Store und die „geheime“ Umsatzbeteiligung machten Apple zum perfekten Ziel, um mit der Mirage der Alles-App-Firma ein Tesla-X-Handy als Druckmittel zu hypen – und Apple knickte nach einer Audienz bei Tim „Apple“ Cook ein. Oder es war alles ganz anders und Elon hat die Drohung Apples nur erfunden, als Präventivschlag, das eigene Phone nur ein Bluff und nachdem Tim ihm den Kopf gewaschen hat, war alles nur ein „Missverständnis“.

So oder so, Elon kann es als „Win“ gegen einen politischen und wirtschaftlichen Gegner verkaufen.

Noch drohen US- und EU Aufsichtsbehörden nur lautstark und stellen die vielleicht zentralen Machtfragen des 21. Jahrhunderts im Verhältnis von Staaten und Megakonzernen.
Auch wenn alle Firmen Elons zusammen genommen nur ein Bruchteil von etwa Apple in der Marktkapitalisierung darstellen, der Anspruch ist ein anderer.
Unter X (Holding) lassen sich bequem alle Schnapsideen Elons vereinigen und als 88 Millionen Jahresplan interpretieren. Alles hängt schließlich mit Allem zusammen, was seinen treuen Fans erlaubt, fleißig Punkte zu verbinden und darin das Sternbild „Hosenträger des Elons“ zu sehen. So lässt sich das kleine Incel-Ego bequem mit Tesla-Aktien und blauem Haken als Deuter der Zeichen aufwerten. Roboter mit Flammenwerfern, die auf Tunnelbohrern über den Mars fahren, gesteuert über Hirnimplantate, während man per Tesla-Autopilot zur Gigafactory pendelnd in einer Welt mit minimaler Regierung in der „X App“ Libs mit Hitlerbildchen 0wnen kann und dafür mit Dogecoin bezahlt wird, was für eine Zukunft, buy the $TSLA – dip and WIN!

Derweil werden auf Twitter, im Fediverse, in den Medien Schlachten um Deutungshoheit und Zahlen geschlagen.

Twitter hat mehr Daily Active User als je zuvor!
Aber nur, weil sich alle zum Abmelden einloggen!
Aber es melden sich immer mehr an!
Aber schau mal auf die Followerzahlen der Politiker, die extremen GQP Clowns gewinnen Follower, die Dems verlieren sie, weil sich die Linken zu Mastodon zurückziehen!
Aber jeder kann doch bleiben, jetzt sieht man erst die wahren Verhältnisse!
Aber Elon freut sich über Listen, die bekannte Rechtsextremisten über „Antifa-Accounts“ angelegt haben!
Aber Alex Jones hat er auch nicht zurück gelassen!
Aber KanYe schon!
Aber nach den Hitlervergleichen doch nicht mehr!
Aber vorher haben die beiden noch…
Ruhe, #twitterfiles!
Aber das war doch alles recht harmlos!
Aber Redefreiheit aber Hassrede aber woke Entwickler aber EU Arbeitsrecht aber Meta aber…

Man fühlt sich erinnert an die alten und neuen Trump-Zeiten, atemlos die Twitter Timeline aktualisierend, hilflos in den übereinander brechenden Empörungswellen versinkend, dabei geschüttelt von Lachkrämpfen ob der offensichtlichen Dummheiten, dann zwischen Euphorie und Resignation zusehend wie Verfahren nach Verfahren im Bemühen um Konsequenzen angestrengt, bekämpft, gehyped wird und verpufft.

Zum Glück haben wir aber inzwischen alle gelernt, damit gesund und nachhaltig umzugehen, oder? ODER?

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

Doch nicht alles ist schlecht an der Situation, einem Anon hat es sogar geholfen, ein Kindheitstrauma zu verarbeiten und er hat diese Geschichte für Euch aufgeschrieben.

Also setzt Euch hin liebe Kinder, nehmt euch eine Flasche Popcorn, Opa erzählt vom Krieg:

Es ist noch nicht lange her, da bin ich ungefähr im Kindergartenalter und spiele im Park. Nebenan eine Gruppe anderer Kinder, sie spielen Federball und ich will mitspielen. Also nichts wie hin und die zur Gruppe gehörende Mutter bietet mir an, in der nächsten Runde teilzunehmen.
Das ist für mich natürlich absolut inakzeptabel, lautstark verlange ich, sofort spielen zu wollen, wie es das Gewohnheitsrecht verlangt.

Was folgt ist eine eindrucksvolle Demonstration mütterlicher Erziehungskompetenz: Sie bittet ihre Kinder um Schläger und Ball, gibt sie mir und wünscht mir viel Spaß. Ich stehe da alleine, ausgelacht, ohne Mitspieler. Die Erkenntnis, gründlich verkackt zu haben, kommt so plötzlich und nachhaltig, dass ich diese Geschichte noch heute vor Augen habe, als wäre sie eben erst passiert.

Tausende kleiner Lektionen wie diese formen uns alle auf unserem Weg vom Zellklumpen hin zu halbwegs sozialen Wesen.

Außer natürlich, man hat einen Papa mit einer Emeraldmine und genug Geld. Dann kann man sich in die Kreativität und Leistungen anderer einkaufen, sie für sich beanspruchen, sich mit bezahlten und freiwilligen Trollen zum exzentrischen Genie stilisieren lassen und dann, wenn einem ein Spiel nicht gefällt, gleich den ganzen Spielplatz kaufen und die Spielregeln zu seinem Vorteil immer wieder neu erfinden.

Wer meint, Twitter sei noch ein öffentlicher Platz, den es gegen die Übernahme rechter Trolle zu verteidigen gälte, dem halte ich entgegen:

Was derzeit auf Twitter passiert ist kein Sieg der Rechten, sondern das Schauspiel eines verzogenen Elon-Kindes, das sich angestachelt von Rechten und Trollen komplett zum Horst macht und dabei den teuer gekauften Spielplatz abfackelt.

Stellen wir uns an den Rand und lachen ihn aus, wenn er und die Seinen erst versuchen, die Parler’isierung Twitters als „Sieg“ zu deklarieren um dann demnächst zurück in ihre versiffte Opferrolle zu kriechen, aus der heraus sie die unvermeidlichen technischen, juristischen, ökonomischen und weiteren Niederlagen Twitters bejammern werden. Und dann ab ins Fediverse oder einfach mal den Rest des Jahres Pause machen von all dem Lärm.

Willst du Elons Spiel mitspielen? Mit den Worten eines Mannes, der Twitter bereits den Rücken gekehrt hat:

Ich habe Besseres zu tun.


1: Wir haben uns diese Liste mal fix angeschaut. 5112 Accounts stehen drauf. Stand Samstag Abend sind davon 29 tatsächlich „suspended“, 166 sind nicht auffindbar, also haben sich selbst gelöscht oder umbenannt, 399 haben ihren Account auf „Protected“ gestellt. Anfang der Woche, als die Liste bereits einige Tage bekannt war, waren bereits 27 „suspended“ und 460 hatten ihren Account mit Schloß „protected“.