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Was ist eigentlich „Bundeszwang“? Was ist Bundesnotstand? Und wo steht Sachsen?

Wenn ein Bundesland seinen im Grundgesetz und anderen Bundesgesetzen festgelegten Bundespflichten nicht nachkommt … was kann dann passieren? Was sollte passieren? … Ein Kommentar.

Mal abgesehen davon, was wir davon halten: „Bundeszwang“ klingt fies, und im Grunde ist es das auch. Bundeszwang nach Artikel 37 Grundgesetz (GG), der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, gibt der „Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats das Recht, den Vollzug eines Bundesgesetzes durch ein Bundesland zwangsweise durchzusetzen, wenn es seine Pflichten als Gliedstaat nicht mehr erfüllt.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Bundeszwang)

Im Grundgesetz heißt es dazu:

(1) Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetze oder einem anderen Bundesgesetze obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten.
(2) Zur Durchführung des Bundeszwanges hat die Bundesregierung oder ihr Beauftragter das Weisungsrecht gegenüber allen Ländern und ihren Behörden.

Was heißt das im Einzelnen? Die Bundesregierung hätte nicht das Recht, das Landesparlament aufzulösen, sie hätte auch nicht das Recht, eine Landesverfassung zu erlassen oder zu verändern, sie hätte nach Artikel 37 nicht das Recht, die Bundeswehr einzusetzen, da bräuchte es einen anderen Artikel. Sie hätte aber das Recht, Bundesrecht zu vollstrecken (Ersatzvornahme), finanzielle Mittel zu kürzen oder treuhänderisch in bestimmten Fällen Exekutive und Legislative zu übernehmen, um Bundesrecht durchzusetzen. In dem Fall wären die Behörden des Bundeslandes weisungsgebunden.

Bundeszwang ist die ultima ratio in der politischen Landschaft. Er darf nur mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen, einige Verfassungsrechtler sind der (Minder-)Meinung, es müsse zuvor ein Bund-Länder-Streit vor dem Verfassungsgericht geführt werden.

Okay, aber was ist „Bundesrecht“?

Bundesgesetze sind in der Bundesrepublik Deutschland Gesetze, für die der Bund nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes in Art. 70 ff. GG die ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit hat, die auf Bundesebene verabschiedet werden und die bundesweite Geltung beanspruchen. Als Bundesrecht wird darüber hinaus das gesamte in Deutschland auf Bundesebene geltende Recht bezeichnet, auch das Grundgesetz oder Rechtsverordnungen der Bundesminister. Da die Pressefreiheit in Deutschland in Artikel 5 GG geregelt ist und für die Bundesregierung und die Länder den Schutz von Pressevertretern impliziert, ist der Schutz von Journalisten Bundesrecht, könnte man meinen. Wenn also die Polizei nicht willens ist, den grundrechtlich garantierten Schutz der Pressefreiheit durchzusetzen – und das nicht zum ersten Male – wird es eng im Freistaat Sachsen.

Auch das Infektionsschutzgesetz ist im übrigen Bundesrecht. Auch hier ist die Polizei Sachsen, angeführt von einem Herrn Wöller, nicht willens und in der Lage, Verordnungen des Landes Sachsen durchzusetzen, die derzeit maximal 10 Personen bei Versammlungen erlaubt. Aber das ist eben eine Landesverordnung …

Doch in Sachsen geht es schon lange nicht mehr um Corona. Und was heute und in den letzten Tagen und Wochen in Sachsen passierte, das ist nicht durch die in der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit gedeckt. Etwas, das grundlegend verfassungsfeindlich ist, kann nicht den Schutz ebenjener Verfassung in Anspruch nehmen. Und die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung sowie die – oft geforderte – Aufhebung des Föderalismus ist verfassungsfeindlich. Egal, mit welchem Kostümchen sich diese Feinde verkleiden.

Kann also der Bund durch Bundeszwang in Sachsen irgendwas durchsetzen? Der allzu leichtherzige Ruf danach wird immer lauter. Auch ist klar, dass sich durch die Minderleistung von Innenminister und die Arbeitsverweigerung von Polizeien in Sachsen das Bild eines Failed State herausbildet, mindestens jedoch eines Problemfalls. Aber mit Bundeszwang … eher schwierig.

Das Grundgesetz geht aber noch weiter: Auch wenn es den Begriff Bundesnotstand so im Grundgesetz nicht gibt, so gibt es doch sogenannte Notstandsgesetze. Artikel 91 GG definiert:

(1) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes anfordern.
(2) Ist das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage, so kann die Bundesregierung die Polizei in diesem Lande und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes einsetzen. Die Anordnung ist nach Beseitigung der Gefahr, im übrigen jederzeit auf Verlangen des Bundesrates aufzuheben. Erstreckt sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen Weisungen erteilen; Satz 1 und Satz 2 bleiben unberührt.

Das wäre in Bezug auf Sachsen ein „einfacher innerer Notstand“. Gefahrenabwehr. Wäre der Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung und das ungehinderte Ausbreiten des Virus ein Fall, wo Gefahrenabwehr ins Spiel käme? Das Recht auf „Leben und körperliche Unversehrtheit“ (Artikel 2 Absatz 2) ist mit Sicherheit Bundesrecht, da es ein Grundrecht ist. Die Sicherstellung dieses Grundrechtes wäre also Aufgabe … so wie der Schutz der Pressefreiheit. Ob jemand zu dem Schluss kommen könnte, Sachsen käme dieser Aufgabe nicht nach, wäre nicht „willens oder in der Lage“ die Gefahr abzuwenden? Würde es reichen? Und was, wenn dem Bund unterstellte sächsische Polizeien und die Bundespolizei zusammen nicht ausreichen? Dann käme es ggf. zum qualifizierten inneren Notstand nach Artikel 87a Absatz 4 Grundgesetz.

(4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.

Nach den Aufständen der sächsischen rechten Gruppierungen in dem „Freistaat“, angeführt von „Freie Sachsen“, die eine „Unabhängigkeit“ von der Bundesrepublik fordern, unterstützt von Demagogen wie Schiffmann, beklatscht von ewig gestrigen und schöngeredet von AfD-Politikern sowie der Weigerung der Polizei, in irgendeiner Form tätig zu werden (Maßnahmen auf Aufmärschen wurden in jüngster Vergangenheit von Polizeikräften anderer Bundesländer durchgeführt, nicht jedoch von Polizei Sachsen), könnte die Bundesregierung also tätig werden und sich die Polizei unterstellen, Bundespolizei in das Land schicken, ggf. sogar die Streitkräfte einsetzen.

Ist bisher noch nicht vorgekommen, war bislang noch nicht notwendig, aber wenn das Infektionsschutzgesetz missachtet und der Schutz der Pressefreiheit und der Bürger, der Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik und der Landesverfassung nicht mehr gewährleistet ist, könnte man halt. Okay, wahrscheinlich wäre es leichter, Sachsen einfach an die Tschechen zu verscherbeln. Oder an die Polen. Auf Erzgebirgs-Weihnachtspüppchen kann man verzichten, Stollen muss nicht Dresdner sein und der Rest ist eh nicht der Rede wert?

Man muss auch an die Menschen denken, die weder die AfD gewählt haben noch mit dem Vorgehen der rechten und neurechten Hetzer in Sachsen einverstanden sind, an Menschen, die sich auch in Sachsen für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, freilich ohne den Schutz der Regierenden, an Menschen, die leben wollen, aber unverschuldet auf Intensivstationen landen, die täglich in Sachsen in hoher zweistelliger Rate sterben und in noch höherer Rate von ignoranten, unsozialen und durchweg egomanischen Menschen infiziert werden.

Eigentlich ist die Polizei Sachsen auch die Polizei dieser Menschen, aber ist sie nicht willens oder in der Lage …

Und klar, jetzt werden einige einwerfen, das könnte doch zum bÜrGeRkRiEg führen, da sei Gewalt ja programmiert. Stimmt. Will ja auch niemand, vor allem wir nicht. Aber so wie es derzeit in Sachsen aussieht bleibt nur die Wahl Mauer drum und Dach drauf oder eingreifen. Denn solange Wöller als Pseudo-Innenminister im Amt ist, solange wird Recht im Freistaat Sachsen nicht durchgesetzt, wenn es um (neu-)rechte Gruppierungen geht. Und nicht auszuschließen ist, dass sich dies auf andere Bundesländer im Osten ausbreitet. Das wäre ein Flächenbrand, den man vermeiden könnte, wenn man nur die Chuzpe dazu hätte.

In jedem Fall haben sächsische Politiker ihren Teil dazu beigetragen, dass es in einem Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland zu einer echten Krise kommen könnte – einer Krise, die überwiegend durch Lügen und Verschwörungsideologien entsteht und durch Demagogen der neuen Rechten. Kretschmer und Wöller, die beiden ahnungslosesten, inkompetentesten und ignorantesten Politiker der Republik und eine Landespolizei, die mit gutem Recht als Schande der Nation gelten kann, Grüne mit Regierungsbeteiligung, die sich nicht mucksen … na dann Prost und Fackelmarsch.

Liebe Zivilgesellschaft, seid ihr nicht auch der Auffassung, dass es an der Zeit wäre, diese Leute unter die Steine zurückzutreiben, unter denen sie hervorgekrochen sind? Dass es allmählich Zeit wird, den Anfängen zu wehren und richtig laut zu werden, so laut, dass die Querdenker, die rechten Wutbrötchen und die neurechten Demagogen mal wieder wissen, was Mehrheit ist? Glaubt ihr nicht auch, dass es sinnvoller wäre, einen Ruck durch das Land gehen zu lassen, um solche Inkompetenz und Umtriebe zu verhindern? Glaubt ihr nicht, dass es an der Zeit wäre, Begriffe wie Friedensbewegung und Freiheit wieder zurückzuerobern?

Die Medien machen das nicht. Die Politiker machen das nicht. Darauf braucht ihr nicht zu warten. Das Schlechte an Föderalismus ist, dass es immer irgendwo Politiker gibt, die kurz vor Wahlen stehen.

Und kommt jetzt nicht mit „Spaltung der Gesellschaft“. Wir sind gespalten als Gesellschaft. Aber die Verwerfungslinie verläuft nicht entlang der Coronamaßnahmen und nicht in der Mitte, sondern am Rand, und sie wird offenbar durch grundlegend unterschiedliche Weltbilder und ein fehlendes Verständnis für den demokratischen Rechtsstaat auf der einen und Grundrechte auf der anderen Seite. Das war schon immer, das gibt es nicht erst seit Corona.

Und das ist richtig so: Eine Gesellschaft muss auch spalten dürfen, wenn sie sich schützen muss..


„Ich für meinen Teil bin der Meinung, daß es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, daß sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. Ja, ich möchte weiter gehen. Ich möchte sagen: Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muß man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“

– Carlo Schmid, einer der Väter des Grundgesetzes, in seiner Rede im Parlamentarischen Rat am 8. September 1948

Update 20.12.2021, 02.45 Uhr

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Dies ist ein Kommentar. Wir reden sicher nicht dem Einsatz der Bundeswehr in Sachsen das Wort. Die Dringlichkeit ergibt sich aber auch beispielsweise aus Äußerungen des Landespolizeipräsidenten.

Und die „Freien Sachsen“, vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen als „gesichert extremistisch“ eingestuft, feixen und feiern.

Ist Sachsen noch in der Lage, die Situation selbst unter Kontrolle zu halten?

Zu den Freien Sachsen sagt Verfassungsschutzpräsident des Freistaats Christian:

„Sie werden auch weiterhin versuchen, die Anti-Corona-Proteste thematisch zu besetzen und den gesellschaftlichen Diskurs mitzubestimmen. Dabei geht es ihnen nicht um sachliche Kritik am Staat, sondern um dessen Verächtlichmachung und Delegitimierung. Als Frühwarnsystem ist es die gesetzliche Pflicht der Verfassungsschutzbehörden, die Bürger vor derartigen Bestrebungen und den von ihnen ausgehenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu warnen. Es liegt nunmehr an der Zivilgesellschaft selbst, den Einfluss dieser rechtsextremistischen Bestrebung in Sachsen weiter zurückzudrängen und sich von ihr sichtbar zu distanzieren“, sagte der LfV-Präsident.

https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/253332