Kategorien
Meinungsecke Querdenken

In der Hauptstadt nichts Neues

Querdenken tanzt trotz Demoverbot der Polizei auf der Nase rum und terrorisiert die Stadt: Die Berliner Polizei scheint mit ihrer Weisheit am Ende zu sein.

Es ist Sonntag. Demo Sonntag in Berlin. Querdenker-Demo. Und man weiß eigentlich nicht, was man schreiben soll. Eine Revolution gab es nicht, die Regierung wurde nicht gestürzt. Natürlich nicht. Und so bleibt nur, sich wieder aufzuregen über 3 bis 5K Querdenker, die sich als Helden des Widerstands feiern, und angeblich 2.250 Polizisten, die … ja, was eigentlich … verfolgen die irgendeine Strategie?

Der Staat wird nach einem Jahr noch immer von Querdenken überrascht? Nein. Der Drops mit Berlin war schon im vergangenen August gelutscht. Damals sagte ein Einsatzleiter, als er auf härteres Durchgreifen angesprochen wurde: „Solche Bilder wollen wir nicht“. Man hatte damals das Problem nicht verstanden. Und damit legte man den Grundstein für ein Trauerspiel in mehreren Akten, bei denen sich die Polizei unfassbar inkompetent zeigt. Und so sollte es niemanden verwundern, dass es heute erneut den Eindruck machte, als habe die Polizei die Stadt Berlin aufgegeben.

„Solche Bilder wollen wir nicht“ von einer Polizei, die sonst nicht solche Skrupel hat, durchzugreifen, das stärkt die Bewegung. Wasserwerfer, die zwar bedrohlich brummen, aber sonst keine Funktion haben und keine Wirkung entfalten, machen auch keinen Eindruck. Wie die SZ schreibt:

„Am Nachmittag setzen sich mehrere Aufzüge Richtung Innenstadt in Bewegung. Eine Gruppe Demonstranten schafft es tatsächlich bis an die Siegessäule heran, nicht so nah, dass sich Menschenmassen auf die Stufen setzen können, aber näher, als es der Polizei lieb sein kann. Die stellt Absperrgitter auf, drei Wasserwerfer gehen in Stellung, die Demonstranten werden zurückgedrängt, es kommt zu zahlreichen Festnahmen. Dann flüchten auch die Letzten. Nicht vor der Polizei sondern vor einem heftigen Regenschauer.

https://www.sueddeutsche.de/politik/querdenken-berlin-corona-1.5370145 (Hervorhebung durch uns)

Nicht vor der Polizei, sondern vor dem Regenguss gehen sie in Deckung. Und die Polizei selbst? Was sagt die?

Konsequentes Vorgehen gegen Querdenker und die Berliner Polizei … nunja, Welten, aufeinanderprallen und so weiter. Es wird wahrscheinlich wieder eine Presseerklärung geben, in der von „Verhältnismäßigkeit“ gefaselt wird, die Demo wird heruntergespielt, weil Polizei und Politik der Stadt nicht lernen WOLLEN.

Das Ziel sei Zerstreuung gewesen: das trifft nicht den Punkt bei einer Strategie, die darauf abzielte, sich über das Stadtgebiet zu verteilen und in kleinen Mobs zu agieren. So wurde es auf Telegram geplant. Die Polizei war und ist darauf nicht eingstellt. Insgesamt muss man leider sagen, dass die Polizeiführung keine Strategie hat, um diesem Phänomen zu begegnen, wochenlange Mobilisierung nicht ernst nimmt und zu unflexibel auf plötzlich auftretende Mobs reagiert. Man muss sich allen Ernstes fragen, wann die Beamten in Berlin ihrer Einsatzleitung den Stinkefinger zeigen und sich krank melden, einfach weil sie nicht verheizt werden wollen. Und wann der Innensenator hier mal tätig wird.

Die Meinung über die verfehlte Polizeitaktik wird übrigens breit geteilt. Hier nur ein Beispiel.

Und vergessen wir nicht, dass es sich bei Querdenken um eine Bewegung handelt, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtett wird: „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.

Und so sehen wir wenig Überraschendes an diesem Demo-Sonntag: einen überdrehten Markus Haintz, den Anwalt auf der ewigen Jagd nach Mandanten. Schreiende und krakeelende Querdenker. Den einen oder anderen Spinnerschauspieler wie Volker Bruch, auch keine Überraschung.

Den einen oder anderen Durchbruch durch halbherzig aufgestellte Polizeiketten, das Katz-und-Maus-Spiel der Querdenker mit der Polizei, hier und da einen angegangenen Polizisten in Unterzahl.

Bedrängte Presseleute, belästigte Passanten und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr.

Und Verletzte. Musste so kommen.

Der Berliner Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalisten – und Journalistinnenunion in Verdi, Jörg Reichel, ist nach Tagesspiegel-Informationen Opfer einer brutalen Attacke aus Reihen einer der illegalen „Querdenken“-Demonstrationen geworden. An der Köthener Straße, Ecke Bernburger Straße in Kreuzberg wurde Reichel übereinstimmenden Berichten zufolge an der Spitze einer nicht genehmigten Demonstration von mehreren Personen, die den Aufzug zuvor offenbar koordinierten, vom Fahrrad gezerrt. Anschließend wurde er geschlagen und getreten, gleichzeitig wurde versucht, ihm das Handy abzunehmen. Nur durch das Eingreifen von Passanten ließen die Täter von Reichel ab. Der Verdi-Gewerkschaftler erlitt Verletzungen an der Schulter und den Beinen und befindet sich aktuell im Krankenhaus.

https://www.tagesspiegel.de/berlin/nach-verbot-von-corona-protesten-tausende-querdenker-irren-durch-berlin-500-festnahmen-gewerkschafter-attackiert/27471282.html

Wir wünschen an dieser Stelle Jörg Reichel von ver.di und allen anderen Verletzten gute Besserung.

Es ist leider allzu absehbar gewesen, wenn eine inkompetente Polizeiführung nicht Willens oder in der Lage ist, Pressevertreter oder Passanten vor einer sich zunehmend und bekanntermaßen radikalisierenden Bewegung zu schützen. Es ist einer von vielen Akten des Trauerspiels vom schwachen Staat, der eine in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierung noch immer unterschätzt. Bis es irgendwann zu Toten kommen muss, fast zwangsläufig, solange eine überforderte Polizeiführung von „Frauen in Sommerkleidern“ konfabuliert. (Ja, das war schon im vergangenen Jahr, aber geändert hat sich nichts.)

Was wir heute nicht gesehen haben: die Köpfe der Bewegung. Markus Haintz hatte zwar gesagt, man brauche keine Bühnen mehr, da man ja im Widerstandsrecht nach 20 Absatz 4 sei (jaja, Blabla), aber dass Michael Ballweg nicht mal die Chuzpe hat, auf der von seiner Organisation angemeldeten Demo selbst aufzutauchen – verboten oder nicht -, das zeugt schon von abgrundtiefer Feigheit. Oder ist er am Ende raus aus Querdenken?

Überhaupt war von den Köpfen dieser sinnfreien Pseudorevolution gegen eine herbeifantasierte Diktatur wenig zu sehen.

Feigheit nämlich auch bei Bodo Schiffmann, der seit Tagen mit großer Fresse durch die Wallachei tourt, aber gestern morgen bereits aus Berlin abgereist ist. „Aus Sicherheitsgründen“, wie es hieß.

General Dixiklo feuerte seine Spendenschafe halt von Sinsheim aus an, der Held des Widerstandes. Dabei hatte er doch dauernd in seinem Kanal gepostet: „Ich bin am 01.08. in Berlin, wo bist du?“

Wer Bodo was glaubt ist eben Neese.

Aber dann heute posten „haben sie Angst, dass wir die Siegessäule klauen???“

Bodo, es ist kein „Wir“ in „Bodo ist gestern aus Sicherheitsgründen abgereist“. Da ist nur ein „Ich, Bodo“.

Und der beissende Duft von Angst vor dem Feind. Schisser.

Es ist Demo-Sonntag in Berlin, und so ganz allmählich weiß man nach dem August 2020, nach November 2020, nach Pfingsten 2021 und nach heute nicht mehr, was man noch schreiben soll dazu. Außer vielleicht … ja:

Sie werden nicht mehr, diese Querdenker. Aber sie sind nicht am Ende.

Stand 19:40 Uhr gab es in Berlin angeblich 600 Festnahmen. Da werden die Personalien festgestellt, es gibt ein Bußgeld bis zu 1000 Euro und kurz danach sind dieselben Typen wieder unterwegs. Uns „machtlosen“ Beobachtern bleibt allmählich nur noch sarkastischer Zynismus. Und Fassungslosigkeit.

Vielleicht hat Antonie Rietzschel recht, wenn sie in ihrem bitteren Fazit auf Twitter vorschlägt:

Eine erlaubte Kundgebung ist mittlerweile weniger effektvoll als das Durchbrechen von Polizeiketten, das johlende Umherziehen. Das Gefühl, sich über Verbote und damit über „das System“ hinweg gesetzt zu haben, hat eine größere Wirkmacht in die Szene hinein.

https://twitter.com/arietzschel/status/1421844552101638151?s=20

Vielleicht sollte man die Demos nicht verbieten, sondern in der Teilnehmerzahl begrenzen. Es würde die unsäglichen Diskussionen um Demo-Verbote und Grundgesetz obsolet machen. Und eine erlaubte Demo kann die Polizei Berlin vielleicht mit Pferden, Gittern und Absperrungen unter Kontrolle …

Man wird ja noch mal träumen dürfen.

Die Querdenker haben nicht gewonnen in Berlin, das gewiss nicht. Die Einsatzleitung der Polizei hat ihnen den Sieg geschenkt.


Update und kleine Korrektur:

Anders als von uns geschrieben war Michael Ballweg wohl doch in Berlin.

Update 02.08.2021, 00:50 Uhr:

Auch der Tagesspiegel ist der Meinung, die Polizei habe sich vorführen lassen.

Der ganz große Aufmarsch wie am 1. August 2020 mit 30.000 Menschen blieb zwar aus, dennoch gelang es der Bewegung, zahlreiche Anhänger zu mobilisieren und die Polizei streckenweise regelrecht vorzuführen. Die Lage war oft unübersichtlich, bereits im Vorfeld waren über einschlägige Telegramkanäle guerillaartige Proteste angekündigt worden. Immer wieder kam es zu Rangeleien mit Einsatzkräften. Journalisten und Beamte wurden bedrängt und beschimpft.

https://www.tagesspiegel.de/berlin/mit-selbstbewusstsein-und-gewalt-querdenker-fuehren-berliner-polizei-streckenweise-vor/27474150.html

T-Online hat den Polizeisprecher sagen hören:

Auf die Frage nach der Taktik der Polizei und warum es Menschen gelungen sei, sich zu versammeln, sagte er: Die Polizei sei angehalten, mit Augenmaß vorzugehen.

https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_90553368/demonstrationen-trotz-verbot-tausende-querdenker-protestieren-in-berlin.html

Deswegen hat sie das Sonntags weitgehend verwaiste Regierungsviertel abgeriegelt und zugelassen, dass die auch in großen Gruppen auch durch Wohngebiete bewegt. Gran-di-ose Taktik