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Anonymous OpRussia

OpRussia – ein Informationskrieg

Lange hatte Russland die Nase vorn im seit Jahren schwelenden Informationskrieg. Seit der Invasion in die Ukraine sind Putins Mannen etwas im Hintertreffen – und verlegen sich aufs Sperren.

squad303 hat sich nach einer berühmten polnischen Jagdflieger-Staffel der britischen Royal Air Force benannt, der Dywizjon 303, die während der Luftschlacht um England die höchste Abschussquote hatte. Ein naheliegender Name, wenn eine Truppe polnischer Aktivisten mit Anonymous gegen Russland in einem Informationskrieg zu Felde zieht.

squad303 hat die Seite 1920.in erstellt, die es jedermann ermöglicht, Botschaften per SMS, per Mail oder Whatspp an die russische Bevölkerung zu schicken.

@Theanonleaks-Tweet vom 05. März 2022

20 Millionen Botschaften sollen bis jetzt versendet worden sein, sagt squad303. Und mittlerweile kann man sogar direkt in Russland anrufen.

Man hört von vielen Stellen, auch von russischer Seite, dass diese Aktion sehr viel Wirbel in Russland erzeugte.

Das ist jedoch nur ein Baustein im Informationskrieg, der hier tobt.

Ukrainische IT-Spezialisten haben die Website der russisschen Nachrichtenagentur Tass defaced und – obwohl sie nie daran dachten vorher – das Anonymous-Logo eingefügt.

Eine kleine Gruppe von Anons schaffte es tatsächlich, das russische Staatsfernsehen zu hacken und dort Videos vom Krieg einzuspielen. Nur für 12 Minuten, aber immerhin, Russen haben dies bestätigt, sie haben es gesehen. Das Video, das auf Twitter dazu rumging, es wurde vom in Russland lebenden Vater einer jungen Frau gemacht, die selbst in den USA lebt und mit ihrem Vater telefonierte zu dem Zeitpunkt.

Putins Yacht wurde mit dem Callsign FCKPTN versehen auf einer kleinen Felseninsel vor der ukrainischen Küste auf Grund gesetzt.

Man hatte viel Spaß bei der Aktion.

Es ist viel im Gange im Hintergrund, es wird viel berichtet, was schwer verifizierbar ist. Es ist Informationskrieg.

Einige Experten fürchten, die Aktionen von Anonymous würden Öl ins Feuer gießen. Die Aktionen der Hacktivisten aus aller Welt würden dazu beitragen, den Krieg eskalieren zu lassen. Doch seien wir einmal ehrlich: Wenn der US-amerikanische Präsident Biden Russlands Putin als Kriegsverbrecher bezeichnet, wenn das Internationale Kriegsverbrecher-Tribunal ermittelt, wenn westliche Nationen Waffen in die Ukraine liefern und Unternehmen sich aus Russland zurückziehen, wenn die Mehrheit der Staaten in der UNO Russland für die Invasion verurteilt und China sich im Weltsicherheitsrat enthält und nicht mit Russland stimmt – was tragen dann Aktionen von Anonymous zur Eskalation bei? Nicht viel.

Anonymous ist international lange nicht mehr so aktiv gewesen und auch lange nicht mehr so einheitlich aufgetreten. Die paar Gruppen, die jetzt noch Putin den Hof machen, Seiten, die unter dem Anonymous Label eine Propaganda verbreiten, sind in der Minderheit. Man kann sie nicht daran hindern, das zu tun. Aber sie sind Außenseiter in einem Kollektiv, dass geeint ist von der Ukraine über Tschechien, Polen, Rumänien, Deutschland, Großbritannien, den USA bis hin nach Brasilien.

Deep Fake Videos, Botschaften an die russsische Bevölkerung, DDoS, um Staats-Websiten downzuhalten, Hacks, Hilfe bei der Umgehung von staatlicher Zensur durch Tor-Bridges und VPN – Anonymous ist im Krieg mit Putin um die Herzen und Seelen der Russen.

Und Anonymous ist gut darin. Putin nicht.

Putin kann nur die Bevölkerung von Informationen abschneiden, indem er Twitter, Facebook, Instagram und Co. sperrt, in der Berichterstattung wie beim Orwell’schem MiniWahr das Wording vorschreibt und mit Gefängnis droht oder Journalisteninnen verschleppt.

Und indem er seinem Volk die Bröckchen hinwerfen lässt, die westliche Fake-Sender ausscheiden.

Unlängst berichtete Mother Jones über ein Memo, dass der Kremlin mutmaßlich an die russischen Staatsmedien versendete. Inhalt: Sendet mehr Tucker Carlson von Fox News.

“It is essential to use as much as possible fragments of broadcasts of the popular Fox News host Tucker Carlson, who sharply criticizes the actions of the United States [and] NATO, their negative role in unleashing the conflict in Ukraine, [and] the defiantly provocative behavior from the leadership of the Western countries and NATO towards the Russian Federation and towards President Putin, personally,” advises the 12-page document written in Russian. 

Übersetzung:

„Es ist wichtig, so oft wie möglich Fragmente von Sendungen des beliebten Fox News-Moderators Tucker Carlson zu verwenden, der die Handlungen der Vereinigten Staaten [und] der NATO, ihre negative Rolle bei der Entfesselung des Konflikts in der Ukraine [und] das trotzig provokative Verhalten der Führung der westlichen Länder und der NATO gegenüber der Russischen Föderation und gegenüber Präsident Putin persönlich scharf kritisiert“, heißt es in dem 12-seitigen Dokument in russischer Sprache.

https://www.motherjones.com/politics/2022/03/exclusive-kremlin-putin-russia-ukraine-war-memo-tucker-carlson-fox/

Tucker Carlson fiel während der Trump-Präsidentschaft schon mit der Verbreitung von Falschinformationen auf. Auch bei der „Russia Probe“ gegen Trump war er stets der Auffassung, es handele sich um eine Hexenjagd. Kein Wunder, dass der Kreml ihn mag.

„Entfesselung des Konfliktes in der Ukraine“ … wer in einen souveränen Staat einmarschiert, der entfesselt Kräfte, die er irgendwann nicht mehr unter Kontrolle hat. Auch gegen sich.

Putin hält zur Zeit noch mit aller Macht den Deckel auf dem Kochtopf der brodelnden Informationssuppe in seinem Land fest. Wie lange er das noch schafft … wir werden es sehen.

Und Anonymous, Hacktivisten und Hacker weltweit und das Chaos, das sie anrichten, das hatte Putin sicher nicht auf dem Zettel.

Doch bleiben wir bei der Sache: was für uns ein Cyber-Informationskrieg ist, ist für die Ukrainer ein wirklich realer Krieg. Ihre Häuser werden zerstört, die Infrastruktur, ihre Lebensgrundlage. Menschen fliehen, Menschen verlieren ihr Leben, Russen wie auch Ukrainer. Für sie ist es echt.

Nicht nur „cyber“.